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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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wir Hosni Mubarak aus dem Amt!«, ruft ein Mann mit heiserer Stimme. Er sitzt auf einer Mauer am Straßenrand und winkt den heranströmenden Demonstranten zur Begrüßung mit einer ägyptischen Fahne zu. Heute ist nicht der »Tag der Wut« in Ägypten, so wie vergangenen Freitag. Heute herrscht vielmehr Volksfeststimmung: »Schaut euch um, wir sind so viele. Da brauchen wir keine Angst mehr zu haben, dass es schief geht!«, sagt eine Frau im pinken T-Shirt . »Wenn nur endlich auch der Westen einsehen würde, dass dies hier das neue Ägypten ist und aufhört, den Diktator von gestern zu unterstützen!«, ergänzt ihre Schwester. Am Zugang zum Tahrir-Platz müssen die Zuströmenden Ausweise vorzeigen und die Taschen werden durchsucht. »Gestern haben wir Ordnerteams gebildet«, sagt Heba Maza. Die junge Frau mit weißem Kopftuch trägt einen Klebestreifen an der Brust, auf dem »Ordnung« steht. Unter den Demonstranten kursiert die Befürchtung, dass die Regierung Schlägertruppen schicken könnte. Besonders berüchtigt sind die Aufmischbrigaden, die mit Teppichmessern auf die Demonstranten losgehen. Nach solchen Messern und anderen Waffen sucht die 2 0-jährige Studentin nun. Sie ist bestimmt, aber zuvorkommend. »Ich heiße euch willkommen«, sagt sie zu den Demonstranten, »bitte denkt daran, dass wir ein zivilisiertes Land sind und seid nett zur Armee. Salmia – friedlich ist unser Motto«, sagt sie immer wieder. »Willkommen im neuen Ägypten!«, fügt sie dann noch hinzu. Spontan und effektiv organisiert sich die Revolte. Sogar ein Presseteam gibt es: Tarek Hamdy und ein paar andere, die Englisch sprechen, versorgen ausländische Journalisten mit Informationen. Das |39| Bild der Revolte im Ausland soll positiv sein. Das ist ihnen wichtig. Ein Interview mit den Anführern der Bewegung könne er allerdings nicht vermitteln: »Wir verstehen uns als Bewegung ohne Anführer. Wir wollen auch nicht, dass Politiker oder Gruppen wie die
Muslimbruderschaft
oder andere für uns sprechen«, sagt er. Sie seien aus Prinzip pluralistisch und weil es auch sicherer sei. »Sonst wird der Führer verhaftet und wir wären führungslos. Das wollen wir nicht riskieren«, sagt er.
    Immer mehr Offizielle schließen sich den Protesten an: Der Vorsitzende des Clubs der Richter, einer bisher recht regierungsnahen Vereinigung, wird mit großem Jubel von den Demonstranten empfangen. Und dort stehen auch Gelehrte der Azhar Universität, einer weiteren Stütze der Regierung: »Es ist nach dem Islam nicht vorgesehen, dass ein Regent gegen den Willen seines Volkes an der Macht bleibt«, erklärt einer von ihnen, Scheich Wael Abu Halawa, weshalb er heute auf die Straße geht und sich damit den Anweisungen des Scheichs Al Azhar widersetzt, der sich als Oberhaupt der sunnitischen Muslime versteht.
    Dass die Revolte heute so viele Menschen in die Innenstadt mobilisiert hat und auch in Alexandria und anderen Städten wieder Zigtausende protestieren, ist umso erstaunlicher, als die Regierung alles getan hat, den Protest zu unterbinden. Züge fahren nicht mehr und der öffentliche Nahverkehr wurde ausgesetzt. Das Staatsfernsehen sendet Horrormeldungen über die Gefahr, die unbescholtene Bürger auf den Straßen und vonseiten der Demonstranten erwartet. Viele Menschen beginnt die Revolte zu zermürben. In den Armenvierteln werden die Lebensmittel knapp, in manchen Stadtteilen fällt das Wasser aus und die Fahrt durch die Stadt wird mühsam, da Bürgerwehren an jeder Straßenecke vorbeifahrende Autos kontrollieren. Dazu kommt die Angst. »Ich habe echt genug von dieser Revolte. Natürlich bin ich auch für Veränderung, aber |40| dieser Preis ist zu hoch«, sagt eine Frau, die lieber nicht ihren Namen sagen will. Sie gehört zu einer Gruppe von Pro-Regierungsdemonstranten, die sich vor dem Fernsehgebäude versammelt hat. Sie macht den Eindruck einer ehrlich genervten Frau, nicht einer, die für ihren Protest bezahlt wird. Tatsächlich geht es vielen Menschen so: Sie entdecken angesichts des Chaos die Vorzüge des alten Systems. Die Vorstellung, nicht zu wissen, was kommen wird, versetzt die Menschen ebenso in Panik wie die Gerüchte über Plünderungen.
    »Nein, wir können nicht mehr aufhören. Wir können nicht und wir wollen nicht«, entgegnet Bilal Mohammed. Der 2 3-Jährige war bis vor Kurzem Computerfachmann, jetzt ist er Revolutionär. Er steht mit einer Gruppe von Freunden auf dem Platz. »Erstens kann man die Menschen nicht mehr stumm
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