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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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nie besonders leise. Das musste seine Art sein, mit der eigenen Nervosität umzugehen. Töffel würde hinter ihm Deckung suchen.
    Etwas fiel zu Boden. Schwer, hohl und metallen. Das Geräusch erfüllte das ganze Gebäude, stürmte von allen Seiten auf mich ein. Der Beton, die fast leeren Flure und Räume besaßen eine seltsame Akustik. Was weit entfernt war, schien ganz nah. Und umgekehrt. An einigen Stellen hörte man jedes noch so vorsichtige Huschen, jede geflüsterte Silbe aus dem oberen Stockwerk. Ein Lüftungssystem trug die Worte durch Böden und Wände.
    „He! Ist da wer?“ Das war keine Täuschung. Die tiefe, wütende Stimme kam von vorn. Vom Haupteingang, wo die schwere Tür schief in ihren Angeln hing. Der Bauer! Er musste von unserer Anwesenheit wissen. Vielleicht hatte Grote einen von uns gesehen oder das Ehepaar mit den Kaninchenställen hatte ihm Bescheid gegeben.
    Ich wich zurück, darauf bedacht, den überall am Boden liegenden Scherben auszuweichen.
    „Kommt sofort da runter!“, brüllte der Mann mit dem Kordhut. Vermutlich versteckten sich Markus und Hilko im Obergeschoss.
    Eine hölzerne Pforte öffnete sich mit deutlichem Knarren. Hinter mir. Ich erstarrte. Der Bauer war nicht allein. Mindestens ein Knecht begleitete ihn. Im Stall näherten sich Schritte. Ich suchte fieberhaft nach einem Fluchtweg. Grote machte keine Anstalten, ins obere Stockwerk zu gehen. Er wartete vor mir im Flur. Eine Dummheit, denn für meine Freunde gab es genügend Möglichkeiten, von dort zu verschwinden. Aber ich konnte so weder vor noch zurück, war gefangen in dem schmalen Flur. Die Räume hinter den Türen boten keinen Ausweg. Der Knecht würde mit Sicherheit einen nach dem anderen absuchen. In den Fensterrahmen steckten zentimeterlange, rasierklingenscharfe Splitter. Beim Hindurchklettern würden sie mich aufschlitzen wie eine Bockwurst. Der Knecht kickte eine leere Konservenbüchse durch den Stall. In zwei, drei Sekunden würde er die Tür zum Flur öffnen und einen zitternden, vor Aufregung leichenblassen Siebtklässler mit schulterlangen Haaren entdecken. Die eigenhändig in der Badewanne mit Nagelbürste gebleichte Jeans und das gelbe T-Shirt mit dem von mir selbst aufgebügelten Schriftzug ALICE COOPER IS THE GREATEST machten mich in seinen Augen garantiert zu einem halbstarken Bengel, der eine ordentliche Abreibung verdiente.
    Es gab nur einen Ausweg.

    Zuerst entwichen die Farben aus den Dingen. Meine Umgebung wurde schwarzweiß. Vier Stufen lagen zwischen mir und dem letzten Tageslicht. Dann die fünfte Stufe ... die sechste. Im Flur öffnete der Knecht eine Tür nach der anderen. Wortlos, ich hörte nur sein Atmen. Jetzt spuckte er geräuschvoll auf den Boden und näherte sich der Pforte zu meinem Versteck. Ich hatte sie nur halb geschlossen, weil ich fürchtete zu stolpern. Und aus Angst vor der Finsternis.
    Ich erreichte den Boden des Kellers. Die Luft roch nach Schimmel, feuchter Erde und dem Duft frischer Champignons. Die Finsternis begann zwei Meter hinter mir. Übergangslos verwandelte sich der Gang in Schwärze.
    Der Knecht riss die Tür zum Keller auf. Ich presste mich gegen die Wand, wagte nicht zu atmen. Mein rechtes Knie begann unkontrolliert zu zucken. Ich bekam einen Krampf. Der Mann machte einen Schritt auf die oberste Stufe. Klack! Da schien Metall in seiner Schuhsohle zu sein. Wenn er herunterkam, blieb mir nur der Weg in das Dunkel des Gewölbes. Nein! hetzten die Gedanken durch meinen Verstand. Dann gib lieber auf!
    Der Knecht knurrte unwillig, spuckte erneut aus und wich zurück. Sollte er etwa auch Angst vor diesem Keller haben?
    Die Tür knirschte über Scherben und schlug zu. Die schweren Schritte entfernten sich. Undeutlich hörte ich einen Ruf, dann war es still.
    Mein Herz pochte, das Knie zuckte und ich sah nichts. Absolut nichts. Ich tastete mich um die Ecke. Da oben gab es eine winzige Spur Licht. Es drang unter der Tür hindurch. Ich wagte mich langsam zum Licht. Wollte mich nicht umdrehen, denn es gab Geräusche in der Dunkelheit hinter mir. Nicht viele, nicht laut. Ein Rascheln, ein Zischeln. Vielleicht wurde es durch die Heizungsschächte aus einem anderen Teil des Gebäudes hierher getragen.
    Und ein feines Tapsen. Ich musste an Spinnen denken. Es existieren auch bei uns Spinnen, die groß genug sind, um sie zu hören. Wenn sie näherkommen. Ganz bestimmt!
    Ich hatte das vor über einem Jahr erlebt. Lag träumend auf dem Holzparkett im Wohnzimmer meiner Eltern und dann
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