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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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völlige Dunkelheit. Hier gab es keine Elektrizität mehr, keine Straßenlaternen. Nur aus der Ferne glommen dann die erleuchteten Fenster der Neubausiedlung. Gartenvorstadt nannte man sie. Obwohl sich dort die wenigsten Menschen einen Garten leisten konnten.
    „Ihr sucht uns“, schlug Hilko vor. Wen er mit uns meinte, wurde mir sofort klar, als er Markus angrinste. Ich spürte, wie Eifersucht in mir hochstieg. Wenn es um ein Abenteuer ging, tat sich Hilko immer mit Markus zusammen.
    „Ihr gebt uns fünf Minuten“, verlangten die beiden.
    „Aber ohne Keller“, erwiderte ich hastig.
    Hilko und Markus sprangen durch eines der Löcher in den darunterliegenden Stall.
    Die Gebäude boten so viele Verstecke und Fluchtwege. Es konnte lange dauern, bis wir die Gesuchten entdeckten. Der Keller war tabu. Sein Labyrinth erstreckte sich wahrscheinlich unter der ganzen Fläche des Bauernhofs. Nur an wenigen Stellen drang dort Licht hinein. Ein einziges Mal hatten wir uns dort hinunter getraut. Wir taten so, als wäre es in den Gängen mit der niedrigen Decke langweilig, aber jeder redete zu viel und zu laut. Bis wir die Knochen eines Tieres fanden. Viel zu groß, um von einem Kaninchen zu stammen. Der fein säuberlich abgenagte Schädel befand sich in einer anderen Ecke des Raumes. Leo glaubte, dass es die Überreste eines Hundes waren. Wir rätselten während unseres Rückzugs, welches Tier in unserer Gegend stark genug war, um einen Hund mittlerer Größe zu töten und dann komplett aufzufressen. Wir fanden es nie heraus, aber manchmal glaubten wir, Geräusche aus dem Gewölbe zu hören.
    Töffel sah auf seine Armbanduhr. Ein klobiges Teil mit roten Leuchtziffern. Das Metallband schlackerte an seinem dünnen Handgelenk. „Die Zeit ist gleich um ... Jetzt!“
    Wir nahmen die Treppe. Im leeren Stall hielten wir inne und lauschten.
    „Wir bilden zwei Gruppen“, schlug ich vor.
    „Zu dritt kann man keine zwei Gruppen bilden“, widersprach Töffel.
    „Du bleibst mit Leo zusammen. Ich suche allein. Wer sie findet, ruft laut.“ Töffel entspannte sich. Für einen Moment hatte er wohl geglaubt, allein losgehen zu müssen. Jetzt, wo die Sonne verschwand, die Schatten in die Flure und Zimmer krochen.
    Leo schob sich hinter vorgehaltener Hand einen letzten Brocken Zitronat in den Mund und zerrte Töffel mit sich.
    Ich tastete mich durch den Stall. Eine Maus, so groß wie eine Streichholzschachtel, suchte Schutz unter einer seltsamen Maschine. Das Ding musste uralt sein. Zwischen zwei Speichen-rädern steckte ein komplizierter Mechanismus aus Zahnrädern, Keilriemen und Stangen. Einst bewegten sie zwei übergroße Mistgabeln, deren Aufgabe es war, das Heu auf dem Feld zu wenden. Hilko hatte uns das Ding erklärt. Jetzt war es eingerostet und die Zacken der Heugabeln ragten wie Krallen in die Höhe. Die Maus piepste nervös. Ich wich dem Heuwender aus und erreichte den Flur im Wohnhaus. Zu meiner Rechten führte ein halbes Dutzend Türen zu kleinen, exakt quadratischen Räumen. Mit einer schnellen Bewegung stieß ich die erste auf. Die Klinke bohrte sich in die Wand und hinterließ einen Abdruck im feuchten Gips. Niemand verbarg sich dort. So einfach würden es uns Hilko und Markus nicht machen.
    Der Boden des zweiten Raums war mit Glasscherben übersät. In der Ecke stand ein metallenes Bettgestell mit einer Matratze. Sie war grau, aber im schwachen Licht sah ich, dass sie von vielen bräunlichen Flecken übersät war. Einigen großen und sehr vielen winzigen Tropfen.
    Mein Magen verwandelte sich wieder in eine Murmel aus Blei. Aber jetzt war es anders: ein angenehmer Nervenkitzel. Ohne nachzusehen, wusste ich, dass sich die kleinen Härchen auf meinen Armen aufrichteten. Ich befand mich von nun an in einer anderen Welt und war nicht länger auf der Suche nach meinen Freunden. Sie wurden zu einer dunklen Bedrohung, wie ich sie in den vielen amerikanischen und vor allem englischen Gruselfilmen erlebt hatte. Die englischen waren die eindeutig Besseren. Nebelverhangen und voller seltsamer Charaktere. Sie erschienen am Samstag auf der Mattscheibe, wenn meine Eltern in ihren Sesseln eingeschlafen waren. Ich hütete mich davor, sie zu wecken, zog mir die karierte Wolldecke über die Nasenspitze und verfolgte das finstere Treiben von Peter Cushing und Vincent Price.
    Jetzt lauerte die Bedrohung in meiner unmittelbaren Nähe.
    Jemand schlurfte lautstark durch das Gebäude. Höchstwahrscheinlich Leo. Er war bei unserem Versteckspiel
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