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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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Schluck fast aus und betrachtete den Rest der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in seinem Glas. „Ich habe mich nach Töffels Tod in den Keller seiner Tante geschlichen.“
    Ich sah, wie Markus neben mir erstarrte.
    „Es gab da nur so ein billiges Vorhängeschloss“, fuhr Leo fort. „Das war kein Problem. Und ... er war noch da.“
    „Wer?“, fragte Markus tonlos.
    „Töffels Handpuppe: Der Tod.“
    „Wir waren jung.“ Ich zwang mich zu einem beschwichtigenden Lächeln. „Wir haben uns da hineingesteigert. Jeder von uns hatte seine ganz persönlichen Ängste.“
    Leo schüttelte traurig den Kopf. „Aber ihr habt Recht, es war ein Fehler, dieses Haus zu bauen. Die Vergangenheit ... sie hat mich eingeholt. Er ist noch hier.“ Ehe wir Leo etwas fragen konnten, eilte er aus dem Raum. Wir hörten, wie er im Neben-zimmer eine Schublade öffnete und erst nach einer Weile wieder schloss. So, als hätte er überlegt, ob es nicht besser wäre, den Inhalt dort zu belassen, wo er war.
    Leo kehrte zurück und mit einer schnellen Bewegung – zu schnell, um zu erkennen, was es war – ließ er etwas in eine kniehohe Bodenvase gleiten. Dort landete es mit einem leisen, metallenen Klappern. Leo kam auf mich zu und reichte mir einen Zettel. Selbst nach zwanzig Jahren erkannte ich die Schrift sofort wieder.

    ICH SEHE DICH NOCH IMMER!

    DER LICHTLOSE

    Wortlos gab ich den Zettel an Markus weiter. „Woher hast du das?“, keuchte er. „Das hast du selbst geschrieben!“
    Leo kippte den Rest des Cognacs und schwieg. Ich versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Was ging hier vor? Wollte uns Leo einen Schrecken einjagen? Hatte er eine besonders makabre Form von Humor entwickelt? All die Jahre war es mir gelungen, die Ereignisse von damals in den untersten Schubladen meiner Erinnerung zu vergraben. Jetzt holten sie mich wieder ein. „Wann hast du das bekommen, Leo?“, fragte ich.
    „Nach Hilkos Beerdigung“, sagte Leo und vergaß selbst jetzt nicht, sein marodes Gebiss hinter der vorgehaltenen Hand zu verstecken. „Der Zettel lag im Briefkasten.“
    „Im Umschlag? Mit Absender? Oder wie?“ Markus wedelte mit dem Zettel vor Leos Gesicht herum. „Mann! Rede!“
    „Nichts. Nur diese Nachricht.“ Er bemühte sich, völlig ruhig zu wirken, aber auf seiner Stirn sammelten sich kleine Schweißperlen. „Das macht mir Angst.“
    Markus wandte sich nach mir um. „Ritsch! Kannst du mir das erklären?“
    Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
    Im Kamin stoben Funken, als knisternd ein rotglühender Holzscheit zerbrach. Markus starrte in die Flammen, atmete tief ein und sagte: „Das ist nicht lustig, Leo. Überhaupt nicht lustig.“
    „Wieso denkst du eigentlich, dass ich den Zettel geschrieben habe? Du hast den Lichtlosen doch sogar schon fotografiert, oder?“, sagte Leo mit einem seltsamen Unterton.
    Markus verengte die Augen zu kleinen Schlitzen. „Ja, das habe ich. Zweifelst du etwa daran? Hilko war damals dabei.“
    „Wenn ich mich richtig erinnere, war Hilko nur in der Nähe. Das Foto hast du allein gemacht.“
    „Richtig! Hilko war in der Nähe .“ Markus bebte. „Hätte ich laut brüllen sollen: He, Hilko! Komm mal eben her! Ist das hier der Lichtlose oder doch nur ein Außerirdischer vom Mars?“
    „Schhh“, machte ich bittend, aber sie ignorierten mich beide.
    „Scheiße, Markus!“, fluchte Leo. „Du redest gottverdammte Scheiße!“
    „Das ist nicht wahr!“, schrie Markus zurück. Aber ich konnte Unsicherheit in seiner Stimme ausmachen. Er befand sich bereits in der Defensive.
    „Was soll das jetzt?“, unterbrach ich die beiden. „Wir müssen herausfinden, woher der Zettel kommt.“
    Leo schüttete sich Cognac nach. Dabei zitterten seine Hände so stark, dass der Flaschenhals einen hektischen Rhythmus gegen das Glas klirrte. Er trank so hastig, dass er sich verschluckte, röchelte und hustete, bis sein Gesicht ganz rot war. „Erinnert ihr euch an die zweite Botschaft im Keller?“, keuchte er und gab sich selbst die Antwort: „Natürlich erinnert ihr euch. Dort stand: Ich habe ihn!“ Sein Glas war schon wieder leer. Wenn Leo in dem Tempo weiter trank, würde er bald stockbesoffen sein. „Das war unmittelbar nach Charlies Tod“, fuhr er fort und wischte sich mit einer fahrigen Geste über die Stirn. „Klingt doch so, als wäre es gar kein Unfall gewesen, als hätte sich jemand um Charlie ... gekümmert . Findet ihr nicht?“
    Ich stand auf, ging langsam auf meine Freunde zu und breitete
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