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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden
Autoren: Carlos Salem
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würden.
    Er hatte so viele Leute umgebracht, dass er, als er selbst an der Reihe war, noch die Professionalität seines Mörders benotete.
    »Neun…ein…halb Punkte von … zehn …«
    Das waren seine letzten Worte.
    Ich weiß das, weil ich ihn selbst erschossen habe.
    Manchmal vermisse ich ihn.
    Er legte den Finger gern in die Wunden und war ein ausgefuchster Killer, dem absolut nichts entging.
    »Töten, mein Junge, töten kann jeder. Die wahre Kunst besteht darin, einen kühlen Kopf dabei zu bewahren. Wer eine wilde Lust verspürt und einen Steifen kriegt, wenn er jemanden abknallen kann, ist kein guter Killer. Weil dann Gefühle mit im Spiel sind, verstehst du?«
    »Du meinst ein körperliches …«
    »Nein, nein, ich meine eine seelische Regung, Nummer Dreiunddreißig. Wenn ich einen Steifen kriege, bricht meine Frau in Tränen aus.«
    Dreiunddreißig war damals vermutlich meine Position in der Rangordnung der FIRMA, manchmal nannte er mich aber auch spöttisch »Doc«, in Anspielung auf mein abgebrochenes Medizinstudium.
    Zum Arzt habe ich es nämlich nie gebracht.
    An jenem Abend, als ich Leticia kennenlernte, vernarrte ich mich sofort in ihre unbeschwerte, überschäumende Lebensfreude. Und natürlich in ihren Hintern, an dem ich mich nicht sattsehen konnte.
    Ich lernte sie in einer Diskothek in einer dieser Vorstädte von Madrid kennen. Obwohl mehrere Mädchen mich umschwirrten, da ich am Nachmittag die Meisterschaft im Scheibenschießen gewonnen hatte, saß ich allein an der Theke. An diesem Abend fühlte ich mich jedoch anders als sonst: Ich war seltsam erregt. Wahrscheinlich wegen der Glückshormone: Zum ersten Mal seit langem hatte mich ein Sieg wieder berauscht, auch wenn ich es nicht zeigte. Deshalb trank ich. Beobachtete die Leute. Trank immer weiter.
    Ich sah Leticia und den Blonden nicht kommen. Der Blonde war ebenfalls betrunken und zudem stinkwütend. Es war seine Heimatstadt, und er war als Favorit in den Wettkampf gegangen, aber als er sah, wie mühelos ich ihn überflügelte, ärgerte ihn das so, dass er mehrmals danebenschoss und zum Schluss gerade mal Sechster wurde.
    »Sechster zu werden ist wirklich das Letzte!«, schrie er das Mädchen mit dem wundervollen Hintern an diesem Abend nun ein ums andere Mal an und verdrehte ihr dabei grob den Arm, weil sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien, während seine Kumpel so taten, als würden sie es nicht bemerken.
    Und da geschah es: Die Theke der Disko verwandelte sich für mich plötzlich in das Deck eines Zweimasters und der Blonde in einen widerlichen englischen Offizier. Von hinten packte ich ihn an der Hand, sodass er sich zu mir umdrehen musste. Voller Verachtung sah er mich an – worauf ich ihm von meinem Barhocker aus einen solchen Kinnhaken verpasste, dass er nach hinten fiel. Sogleich stürzte sich einer aus seiner Clique auf mich, den ich mit einem kräftigen Tritt in die Eier außer Gefecht setzte. Beim nächsten verlor ich allerdings das Gleichgewicht, sodass ich mich an ihn klammern musste, um nicht zu Boden zu gehen. Ich war echt ziemlich besoffen.
    Weil einige sich dann auf meine Seite schlugen, hielten sich die Kräfte bei der darauffolgenden Massenschlägerei jedoch in etwa die Waage. Leticia zufolge war ich von einem zum anderen geflogen und hatte, dreckig lachend wie ein Freibeuter beim Kapern eines englischen Schiffes, mit meinen Fäusten und mit Flaschen heftig ausgeteilt.
    Das hatte sie zumindest früher immer behauptet, wenn wir auf die Schlägerei zu sprechen kamen, von der ich selbst nicht mehr viel wusste.
    Das letzte Mal, dass sie mir das in Erinnerung gerufen hat, ist allerdings schon Jahre her.
    Der Rest steht mir noch klarer vor Augen: Leticia, die mich gerade noch rechtzeitig aus dem Gewühl rausholte und nach draußen zerrte, bevor die Polizei anrückte; die Wohnung einer Freundin, wo wir uns zum ersten Mal liebten, und zum zweiten und zum dritten Mal, bis wir in dieser Nacht nicht mehr mitzählten; das Gefühl, alles um mich herum würde schwanken, wie es einem eben geht, wenn man auf hoher See ist und alle Segel gesetzt hat.
    Leticia war die Tochter eines Halbgotts in Weiß, eines berühmten Chirurgen, der seine Praxis in jener Kleinstadt aus purer Sentimentalität behalten hatte, selbst aber schon lange in den besten Madrider Kliniken arbeitete.
    Der Blonde, dem ich die Fresse poliert hatte, war Leticias Freund und studierte im zweiten Jahr Medizin.
    Heute ist der Blonde ein angesehener
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