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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden
Autoren: Carlos Salem
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Angewiesensein auf andere, wenn er mal musste. Er hasste Bettpfannen und Urinale; wenn er schon sterben müsse, wetterte er jedes Mal, solle man ihm wenigstens seine Würde lassen. Am Morgen seines Todes nahm er mir deshalb das Versprechen ab, etwas Praktischeres und Menschenwürdigeres zu erfinden. Ich bin handwerklich sehr geschickt, wie du weißt. Jahrelang habe ich getüftelt. Bis ich schließlich eine brauchbare Idee hatte und alles passte.«
    Ich brachte einen Toast auf ihn aus, und wir stießen darauf an.
    Ich begriff nicht genau, wie es funktionierte, obwohl er mir seine Erfindung auf ein paar Papierservietten skizzierte. Es sah aus wie ein luftdicht verschlossenes Chemieklo, das der Kranke ohne fremde Hilfe benutzen konnte. Tonys Augen strahlten, während er mir davon erzählte. Das Neue daran sei das kleine, unauffällige Format und die automatische Vernichtung der Exkremente. Alte und Kranke hätten so ein Problem weniger. Und es sei ökologisch und spottbillig.
    »Alle alten Leute könnten sich so eine ›Teo-lette‹ leisten!«
    Sein Großvater hatte Teófilo geheißen, und im Gedenken an ihn hatte Tony die Erfindung mit seinem Namen patentieren lassen.
    Wir stießen darauf an. Beim achten – oder zehnten? – Glas rückte er dann mit der ganzen Wahrheit heraus. Er wusste nicht mehr weiter. Um den Prototyp seiner Erfindung zu fertigen, hatte er seine Firma um finanzielle Unterstützung gebeten, war aber nur auf Ablehnung gestoßen. Deshalb hatte er bei einem Kreditbüro einen Kredit aufgenommen. Urplötzlich wollte der Gläubiger nun aber sein Geld zurück, ja, er hatte ihn sogar mit dem Tod bedroht, wenn er nicht zahle. Und obendrein wollte sein Konzern ihm die Erfindung auf einmal doch abkaufen. Für einen stattlichen Betrag.
    »Aber dann ist doch alles geritzt! Mit dem Geld kannst du deine Schulden bezahlen und hast immer noch genug Kohle, um dich selbständig zu machen. Komm«, sagte ich und hob erneut mein Whiskyglas, »das muss begossen werden!«
    »Du verstehst nicht, Juan. Sie wollen das Patent für die ›Teo-lette‹ doch nur kaufen, damit sie nicht in Produktion geht! Weil sie so billig und stabil ist! Dann wär’s nämlich vorbei mit dem kräftigen Reibach, den sie mit all den Harnflaschen und Einlagen machen, die die Krankenhäuser jedes Jahr bestellen müssen.«
    Tony tat mir leid.
    Ich begriff, dass ich etwas für ihn tun musste.
    Der windige Typ hatte ihn für den nächsten Tag kurz vor Einbruch der Dunkelheit an den Teich im Retiro-Park zitiert. Jetzt, da er mich getroffen habe, erklärte Tony tapfer, hätte er jedoch keine Angst mehr davor, er fühle sich wieder wie ein Pirat und würde ihn einfach zum Teufel schicken.
    Mir war sofort klar, dass der Kredithai nicht mit sich reden lassen würde, denn die Verbindung zu Tonys Pharmakonzern war offensichtlich. Einer von Tonys Vorgesetzten hatte ihm nämlich den Kontakt zu dem Halsabschneider vermittelt. Da würde der dicke Tony mit seiner Augenklappe nicht viel ausrichten können. Aber ich hielt den Mund.
    Noch in der Nacht legte ich mir einen Plan zurecht.
    Am nächsten Nachmittag schwänzte ich die Vorlesung und ging eine Stunde vor dem Treffen in den Retiro. Der Typ kam ebenfalls früher. Er musste es sein: ein grobschlächtiger, gefährlich aussehender Kerl, der finster die Enten beobachtete, die gelangweilt im Teich herumschwammen. Er erinnerte mich an Soriano zehn Jahre zuvor.
    Die Mütze tief ins Gesicht gezogen setzte ich mich auf eine Parkbank und verschanzte mich hinter einer Zeitung, als Tony erschien.
    Mein Plan war ganz simpel: Sobald sie auseinandergingen, würde ich dem Typen unauffällig folgen und ihn auf einem der unbeleuchteten Parkwege hinterrücks erschießen.
    Erst jetzt wird mir klar, dass ich in dem Moment keinerlei Bedenken oder Skrupel hatte, obwohl ich bis dahin noch niemanden getötet hatte. Vielleicht hatte die alte Nummer Drei wirklich recht: Du bist zum Auftragskiller geboren, hatte er immer behauptet.
    Niemand würde Tony jedenfalls mit dem Tod des Kredithais in Verbindung bringen. Und sollte seine Firma dahinterstecken, würden sie meinen Freund sowieso in Ruhe lassen: Die »Teo-lette« mochte eine großartige Erfindung sein, aber so viel war sie denn auch nicht wert, um mit einem Mordfall in Verbindung gebracht zu werden.
    In der Tasche hatte ich meine Wettkampfpistole, frisch gereinigt und geölt. Seit einem Jahr hatte ich an keinem Preisschießen mehr teilgenommen. Meine Treffsicherheit hatte jedoch
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