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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu.«
    »Ist es nicht besser, wenn ich es selbst abhole?« fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen. Also dann – auf Wiedersehen!«
    »Auf Wiedersehen …« Und als sie aus dem Zimmer war, sagte er noch leise: »… Angela …«
    Er trat ans Fenster und beobachtete durch die Gardine, wie sie hinter der Trage in den Krankenwagen stieg. Langsam fuhr das Auto an und entschwand rasch seinen Blicken.
    In seinem blutbespritzten Anzug stand er allein in dem großen Ordinationsraum. Er betrachtete sich sinnend. Dann schoß ihm ein guter Gedanke durch den Kopf, und er eilte hinüber in den kleinen Salon.
    »Ja, hier spricht Dr. Perthes«, sagte er. »Bitte Herrn Professor Dr. Window.« Er wartete einen Augenblick, dann richtete er sich plötzlich auf.
    »Ja, hier Peter. Tag, Erhard! Du, ich habe eine große Bitte. Gleich wird ein Junge eingeliefert. Unfall. Schlagaderriß, Gehirnerschütterung, Rippenquetschung. Ein Fräulein Angela Bender …, ja, Dr. Bender, begleitet ihn.«
    »Kenne ich«, sagte eine schnarrende Stimme am Telefon. »Sie hat bei uns auf der Kinderstation ein paar Betten.«
    »Ist ja wunderbar!« Dr. Perthes strahlte. »Sorge doch bitte dafür, daß der Junge nicht in die Kinderabteilung kommt, sondern in die Chirurgische Klinik. Zu Dr. Sacher. – Warum? Das erkläre ich dir später. Erfülle meinen Wunsch und wart's ab!«
    Er legte den Hörer auf und rieb sich die Hände. Dr. Paul Sacher, der Chef der chirurgischen Abteilung, war sein bester Freund. Man nannte sie in der Lindenburg nur ›Peter und Paul‹. Wenn Professor Window den Jungen in Pauls Abteilung legte, sah er Angela Bender jeden Tag, denn sein toxikologisches Laboratorium lag im gleichen Gebäudeflügel wie die Chirurgie.
    Eine jungenhafte Fröhlichkeit überkam ihn. So kann ein Unglück Glück bringen, dachte er. Da läuft man jahrelang als Tropenarzt und Giftfachmann in der Welt herum, fährt auf See rund um die Erde, mal in Bombay, mal in Bahia, mal auf Celebes und dann in Porto Rico … Man hat im Gran Chaco Schlangen gesucht und in Rio de Janeiro Vorträge gehalten … Dann kam der Krieg, der Hauptverbandsplatz, das Lazarett … Gräßliche Wunden mußte man flicken, sterbenden Soldaten Trost geben und Krüppeln die Lebensaussichten wieder hell und erstrebenswert machen … Dann war der Spuk zu Ende, man hungerte sich durch, lebte an der Münchner Klinik von dreimal trocken Brot am Tag und einem spendierten Würstchen vom Kollegen Moll, der ein Verhältnis mit einer Metzgerstochter hatte … Dann ging es nach Hamburg ans Tropeninstitut, nach Bremen an das Schifferkrankenhaus und schließlich nach Köln, wo er im Auftrag der Universität neue Tropengifte feststellen und unschädlich machen sollte.
    Frauen? Sie spielten kaum eine Rolle in seinem Leben. Die Erlebnisse mit ihnen in den Tropen und auf den Schiffsfahrten, sie blieben ohne große Erinnerung. Was Liebe ist, wußte er nicht – man las es am besten in Romanen nach. Dort wurde sie in allen Varianten beschrieben. Die Schriftsteller mußten sie ganz genau kennen, denn sie kamen immer wieder auf sie zurück.
    Im täglichen Leben kannte Dr. Perthes nur Reagenzgläser und Kolben; Giftschlangen, die auf Glasplatten bissen und dort ihr Gift abspritzten. Brutöfen und Nährböden mit Giftkulturen, kranke Meerschweinchen oder Kaninchen, die elend zugrunde gingen und denen man, noch halb lebend, das Blut abzapfte.
    Wo blieb da die Liebe?
    Wo hatte man da noch Zeit, sich unter die streichelnden Hände einer Frau zu begeben? Und wenn man einmal ein Mädchen sah, das so etwas wie Interesse erweckte, dann war bestimmt an dem Abend ein wichtiger Termin oder ein neuer Patient mit Gift im Körper, der einem alle Stimmung für einen romantischen Abend verdarb.
    Und da geht man eines Nachmittags spazieren, rettet einem leichtsinnigen Jungen das Leben und lernt dabei eine Kollegin kennen, die einem auf den ersten Blick so etwas wie einen Schleier von der Seele reißt!
    Das ist dumm, aber wahr, dachte Peter Perthes. Ausgerechnet eine Kollegin! Wie sagte doch sein Freund Dr. Sacher einmal: »Der Mann, der eine Kollegin heiratet, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen!«
    Perthes mußte lachen. Er wollte sich eine Zigarette anzünden, als ihn ein Geräusch hinter sich herumfahren ließ. Ein junges Mädchen in einem kurzen Kleid mit einer buntgeblümten Schürze stand hinter ihm im Türrahmen und grüßte ihn freundlich durch Kopfnicken.
    »Würden Sie bitte Ihr Jackett ausziehen?«
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