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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Decke, zierlichen Tassen und einem Teller mit belegten Broten. Letztere waren sehr willkommen, denn Max und ich waren nach unserer Fahrt hierher hungrig. Was für nette Leute sie sind, dachte ich. Sie geben uns das Gefühl, willkommen zu sein. Die Freundlichkeit war ihren Augen anzusehen. Wenn meine Großmutter Hetty und mein Großvater Za-dok solche Menschen gefunden hätten, dann wären sie vielleicht noch am Leben.
    Jackies Ankunft riss mich aus meinen Gedanken. Er sah gut aus, hatte zugenommen und seine Kleidung war sauber. Er freute sich sehr, uns zu sehen. Wir erzählten ihm von Schwester Lu-bas Abreise. Aber Jackie war kein Mensch, der leicht seine Gefühle zeigte. Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Na ja, wenn sie das so will, soll sie glücklich sein.« Dann wechselte er schnell das Thema und fragte: »Wann gehen wir nach Amsterdam?«
    »Hoffentlich bald«, sagte ich.
    »Macht euch keine Sorgen«, sagte der Vater. »Wir werden schon dafür sorgen, dass Jackie mitkommen kann.«
    Inzwischen war es Zeit für uns geworden, zu gehen, denn wir wollten vor Anbruch der Dunkelheit in der Schule zurück sein. Wir verabschiedeten uns, und »Mutter« und Jackie gingen mit zum Bus, um sicherzugehen, dass wir in die richtige Richtung fuhren.
    Die nächsten Tage vergingen sehr langsam. Wir und die wenigen, die in der Schule zurückgeblieben waren, sahen uns nur morgens oder abends. Tagsüber erkundeten die Jungen Eindhoven, nur Max, Iesie und ich blieben zusammen. Der Doktor kam jeden Tag, um nach uns zu sehen und sich zu erkundigen, wie es uns ging. Und wir fragten ihn jedes Mal, wann wir nach Amsterdam zurückkönnten.
    Endlich teilte er uns eines Morgens die ersehnte Nachricht mit: Wir würden in zwei Tagen nach Amsterdam fahren und alle Kinder müssten bis dahin von ihren Gastfamilien zurückkommen.
    Jemand musste konsequent dafür gesorgt haben, denn am Morgen unserer Abreise waren tatsächlich alle Kinder da, außer denen, die in Krankenhäusern waren oder andere Ziele als Amsterdam hatten.
    Als der Bus losfuhr, gab es ein großes Abschiednehmen von den Menschen, die fremde Kinder in ihre Häuser und in ihre Herzen aufgenommen hatten.
    Die Fahrt nach Amsterdam dauerte stundenlang. Alle Brücken waren gesprengt oder durch Bomben der Alliierten oder der abziehenden deutschen Truppen zerstört worden, der gesamte Verkehr erfolgte über Fähren. Das bedeutete viele Stunden des Wartens, doch schließlich kamen wir in Amsterdam an. Es war ungefähr vier Uhr, als der Bus in die Henri Polaklaan einbog und vor dem Jüdischen Krankenhaus hielt, von wo meine Großeltern während einer deutschen Razzia geflohen waren. Die Türen des Krankenhauses waren geschlossen, und etwa zehn Leute waren da, um uns willkommen zu heißen. Sechs waren gekommen, um Kinder abzuholen, mit denen sie verwandt waren, die anderen vier waren Mitglieder des niederländischen Widerstands, der während der Besatzungszeit Großartiges geleistet hatte. Der Busfahrer gab einer der Frauen, die offenbar verantwortlich war, eine Liste mit unseren Namen.
    Einige Kinder erkannten ihre Verwandten, sie liefen zu ihnen und es kam zu einem tränenreichen Wiedersehen. Robbie klammerte sich an mich. Ich nahm ihn auf den Arm, denn ich verstand, dass er unter diesen fremden Menschen Angst hatte. Ein älteres Paar kam auf mich zu fragte, ob dies Robbie Engelander sei.
    »Ja«, sagte ich, »das ist Robbie.«
    »Wir sind seine Großeltern«, erklärte die Frau.
    Mein Herz blieb stehen, als ich erkannte, dass ich Robbie abgeben musste. Robbie, der wohl spürte, dass er mich verlassen sollte, schlug seine kleinen Arme so fest um meinen Hals, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Er vergrub sein Gesicht an meinem Hals und weinte bitterlich. Seine Großmutter sah verwirrt aus und streckte ihm die Arme entgegen, doch er weinte noch lauter. Ich bat Robbies Großeltern um ein paar Minuten Geduld, damit ich ihn beruhigen könne. Mit Robbie auf dem Arm ging ich zum Rand der Gruppe und sprach sanft auf ihn ein. Ich sagte ihm, diese Leute seien seine Großeltern und würden ihn genau so lieb haben wie ich.
    »Du musst keine Angst haben, Schatz«, sagte ich. »Trockne deine Tränen und geh mit ihnen. Ich werde dich bald besuchen.«
    Robbie beruhigte sich. Er vertraute mir und glaubte, was ich ihm sagte. Langsam ging ich zu seinen Großeltern zurück, löste seine Arme von meinem Nacken, küsste ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hab dich lieb, mein Schatz, sei ein braver
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