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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen
Autoren: Hetty E. Verolme
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uns aber, weiterzufahren.
    Ich kann nicht in wenigen Worten meine Gefühle beschreiben, als wir die Wiboutstraat entlangfuhren. Diesen Weg war ich viele Male zur Schule und zurück gegangen, mit meinen Freundinnen, deren Leben so plötzlich und gewaltsam ausgelöscht worden war. Obwohl es schon halb neun war, war es noch immer hell, und ich konnte die Gruben sehen, die Leute im Winter neben der Straße gegraben hatten, in der Hoffnung, etwas Kohle zu finden. Diese Gegend hatte nämlich früher lange als Halte- und Umkehrpunkt für Eisenbahnzüge gedient und die Gleise waren erst entfernt worden, als vor Kriegsbeginn eine neue Eisenbahnlinie und Unterführungen gebaut wurden. Die Straße war in keinem guten Zustand und die Stöße taten meinem ohnehin schmerzenden Hinterteil sehr weh. Als wir an Luyks vorbeifuhren, der Senffabrik, wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern würde. Dann waren wir in der Unterführung, von der ich, als sie gebaut wurde, immer heruntergesprungen war. Nach der Unterführung kam der President Steynplantsoen.
    »Wir sind gleich da, Miep«, sagte ich. »Das Haus ist auf der linken Seite, Nummer sieben.«
    Miep fuhr langsamer, und meine Augen suchten die Reihe der Häuser ab, die alle saubere, weiße Vorhänge hatten. Schließlich standen wir vor dem Haus, in dem die Pomstras lebten. Wie durch ein Wunder erschien in diesem Moment Frau Poms-tra am Fenster. Sie sah mich und einen Moment später erkannte sie mich. Nachdem ich steif vom Fahrrad gestiegen war, kettete Miep es sorgfältig an, bevor wir die Klingel drückten. Die Tür ging auf, wir liefen die Stufen hinauf.
    Mein Herz klopfte laut. Wie würde ich empfangen werden? Waren sie froh, mich zu sehen? Wir erreichten die letzte Treppe und ich konnte Frau Pomstra oben stehen sehen. »Bist du es, Hetty?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Und deine Brüder?«, fragte sie.
    »Es geht ihnen gut«, antwortete ich. »Sie sind im Moment in Mieps Wohnung.«
    Ich hatte gerade die letzte Stufe erreicht, als Frau Pomstra sagte: »Wie wunderbar, dass du am Leben bist, denn dein Vater und deine Mutter leben auch.«
    Ich taumelte zurück, so sehr traf mich diese Nachricht. Miep fing mich auf, sonst wäre ich die Treppe hinuntergefallen. Ich schaute Frau Pomstra an. »Ich kann es nicht glauben. Sie sagen nicht die Wahrheit.«
    »Doch«, sagte Frau Pomstra. »Komm rein, ich zeige dir die Briefe, die deine Eltern an uns geschrieben haben.« Sie legte die Arme um meine Schultern und küsste mich auf beide Wangen, bevor sie mich hineinführte.
    Miep stellte sich Frau Pomstra vor, dann saß ich auf einem Stuhl und versuchte, mein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Frau Pomstra legte drei Briefe vor mich hin. Ich erkannte den Brief, den ich von Bergen-Belsen aus durch das Rote Kreuz geschickt hatte. Auf den anderen beiden Briefen erkannte ich die Handschrift meines Vaters und meiner Mutter. Ich nahm erst den Brief meiner Mutter und öffnete ihn mit zitternden Fingern. Sie hatte Folgendes geschrieben:
    Liebe Familie Pomstra, ich bin in Schweden, in Malmö, und weiß nicht, wo mein Mann und meine Kinder sind. Ich glaube, sie sind tot und ich bin allein auf der Welt.
    Der Brief ging so weiter, im Glauben, sie sei die einzige Überlebende. Dann öffnete ich den Brief meines Vaters. Er war nicht an die Pomstras gerichtet. Er hatte geschrieben:
    Meine liebe Frau und Kinder, ich lebe, ich lebe und ich bin sicher, ihr lebt auch.
    Ich brach in Tränen aus, die Jahre der Entbehrungen und der Leiden, des Schreckens und der Unterdrückung wurden an die Oberfläche geschwemmt, als ich diese Worte meines wundervollen, optimistischen Vaters las. Mit seinem unerschütterlichen Glauben, dass wir alle am Leben waren, war der Krieg endlich jetzt wirklich zu Ende.
    Nachwort
    Es gab ein Leben nach Bergen-Belsen.
    Die Pomstras nahmen uns auf. Ihre Dreizimmerwohnung war übervoll mit drei zusätzlichen Kindern, aber die Nachbarn machten ein Mansardenzimmer frei, mit einem sehr bequemen und sauberen Bett, in dem Max, Jackie und ich problemlos schlafen konnten.
    Wir mussten uns allerdings an den Lebensstil bei den Pomstras gewöhnen. Das hieß, ordentlich am Tisch zu sitzen, nachdem wir uns die Hände gewaschen hatten. Herr Pomstra verlangte auch, dass wir mit ihm Gott für das Essen dankten, das vor uns auf dem Tisch stand, und nach jeder Mahlzeit las er einen Absatz aus der Bibel vor, bevor wir gehen durften.
    Nahrung war noch immer knapp in Amsterdam und der Armeesack mit
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