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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Autoren: Heather Poole
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Kündigungen, die Fluktuation ist bei weitem nicht mehr so hoch wie früher, und der Konkurrenzkampf tobt. 96 Prozent aller Bewerber erhalten noch nicht einmal eine Absage. Nach der Ankündigung, dass 1000 freie Stellen zur Besetzung anstünden, gingen im Dezember 2010 bei Delta Airlines über 100   000 Bewerbungen ein. Nur die qualifiziertesten Anwärter machen das Rennen, und so gibt es nahezu keinen Flugbegleiter ohne College-Abschluss, obwohl dieser offiziell gar nicht verlangt wird. Sogar ausgebildete Ärztinnen und Anwälte bewerben sich. Das sollte Ihnen einiges über mich und all die anderen Saftschubsen in den marineblauen Polyester-Uniformen verraten. Denken Sie doch bei Ihrem nächsten Flug einmal daran.
    Natürlich gehörte ich, als ich mich das erste Mal um eine Stelle bewarb, nicht zu den auserwählten vier Prozent.
    Zu dieser Zeit ging ich noch aufs College und wollte den Job eigentlich nur, um meiner Zimmergenossin und all ihren Problemen zu entfliehen, mit denen sie mir das Leben schwermachte. Ständig schleppte sie irgendwelche Typen an und ließ sie dann einfach in unserem Zimmer zurück. Versuchen Sie mal, Japanologie zu pauken, wenn Ihre Zimmergenossin pausenlos Ihre Klamotten vollkotzt – noch dazu, wo Sie ihr explizit verboten haben, sie sich auszuborgen und anzuziehen! Als meine Mutter, die ihr ganzes Leben lang von einer Karriere als Flugbegleiterin geträumt hatte, mir eine mit dickem rotem Filzstift eingekringelte Stellenanzeige einer großen U.S.-Airline schickte, beschloss ich, mein Glück zu versuchen. Nicht dass ich wirklich scharf auf den Job gewesen wäre, aber es gab einen Gratisflug in einen anderen Bundesstaat, wo die Vorstellungsgespräche stattfinden sollten. Pleite, total genervt, mit einer Wagenladung vollgekotzter Wäsche und einem derangierten Typen im Badezimmer, der sich an meinen Wattestäbchen vergriff, hatte ich nur einen Wunsch: weg von hier. Außerdem wollte ich mal wieder in einem Flugzeug sitzen, das war mir bis dahin nämlich erst zweimal in meinem Leben vergönnt gewesen.
    Ich kam in die zweite Runde und wurde schriftlich genauestens über das weitere Prozedere informiert: wann ich mich wo einzufinden hätte und was ich am Ticketschalter sagen sollte, um meinen Gratis-Platz zu bekommen (übrigens bezahlen nicht alle Fluggesellschaften die Anreise). Zwei Wochen später stieg ich aus der Maschine, trippelte auf meinen hautfarbenen 10-Zentimeter-Pumps und mit meinem kleinen Trolley im Schlepptau über die Fluggastbrücke bis zum anderen Ende des belebten Terminals. Von dort aus führte schließlich eine graue Tür zu einem riesigen Saal, in dem sich Hunderte fröhlich lächelnde Frauen tummelten. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte fassungslos auf die zahllosen Bewerberinnen, die ausnahmslos in dezentes Schwarz und Dunkelblau gekleidet waren und mit artig zusammengepressten Knien sowie anmutig gekreuzten Knöcheln auf ihren Stühlen saßen. Mein nagelneues kanariengelbes Kostüm und die hautfarbenen Nylonstrümpfe schrien dagegen förmlich » ALLE MAL HERSEHEN «. Und das meine ich jetzt nicht positiv. Ich wäre am liebsten auf der Stelle im Erdboden versunken.
    Sämtliche ordentlich frisierten Köpfe fuhren herum, wandten sich nach einer flüchtigen Musterung aber sofort wieder ab. Mit meinen blonden, bis über die Schultern fallenden Locken war ich definitiv keine Konkurrenz für sie. Mit dem Handrücken wischte ich meinen rosafarbenen Lippenstift ab, zwirbelte mein Haar zu einem lockeren Knoten zusammen und suchte mir einen Platz im hinteren Teil des Saals. Ich wollte mich ins nächste Mauseloch verkriechen, doch das ist bei einem Vorstellungsgespräch keine wirkliche Alternative. Zumindest nicht, wenn man den Job tatsächlich möchte – und man als Einzige ein Outfit in Regenbogenfarben trägt.
    Die Mitarbeiter, die die Einstellungsgespräche mit uns führen sollten, stellten sich kurz vor, dann wurden wir in Gruppen eingeteilt. 50 Gruppen à fünf Bewerberinnen. Während ich wartete, bis ich an der Reihe war, kam ich mit der jungen Frau neben mir ins Gespräch. Sie hatte fünf Jahre lang für eine andere Airline gearbeitet, nach der Geburt ihres Kindes aber gekündigt – der größte Fehler ihres Lebens, wie sie heute fand. Inzwischen war sie geschieden und brauchte diesen Job unbedingt. Sie hatte also bereits Berufserfahrungen bei der Konkurrenz gesammelt. Ob sich das als Vor- oder Nachteil für mich erweisen würde, konnte ich nicht abschätzen.
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