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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Autoren: Heather Poole
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zwischen seine langen, hageren Beine.
    »Kein Problem«, trompetete er. »Dann bleibe ich während des Fluges eben hier.«
    Ich drehte mich um. Er lächelte. Ich nicht. Er schien es ernst zu meinen, und ich bekam langsam echte Bauchschmerzen. Bildete er sich allen Ernstes ein, er könnte während des Fluges dort sitzen bleiben? Auf dem Boden? Vor der Toilette? Neben meinem Klappsitz?
    »Das wird leider nicht gehen«, sagte ich und wies auf das erleuchtete Anschnallzeichen, in der Hoffnung, dass der Kerl endlich begriff. Plötzlich begannen seine Augen zu leuchten. Er stand auf und ging zielstrebig den Gang entlang. Innerhalb weniger Sekunden hatte er die gesamte Economy- und Business-Class durchquert und steuerte geradewegs die First Class an, wo er, wie mir meine Kolleginnen erzählten, stehen blieb und lautstark verkündete: »Na gut, dann esse ich eben Ihren lausigen First-Class-Fraß!«
    Damit war es offiziell – wir hatten den personifizierten Wahnsinn gefunden!
    Nach dem Service hatten sich die Gemüter wieder etwas beruhigt, und ich saß auf einer selbstgebastelten Bank (ein Backblech über zwei leeren Getränkecontainereinsätzen) in der Bordküche der Business-Class. Gerade als ich in das Sandwich beißen wollte, das ich von zu Hause mitgebracht hatte, riss eine Passagierin den dicken blauen Vorhang zur Seite.
    »Könnte ich eine Business-Class-Vorspeise haben?«, fragte sie und wedelte mit ein paar zerknüllten Geldscheinen.
    Eilig wischte ich mir den Mund ab und stand auf. »Wir verkaufen das Essen aus der Business-Class nicht, weil es schon im Ticketpreis enthalten ist und die Passagiere ihr Essen meistens selber …«
    »Aber kann ich nicht mal ein Brötchen kriegen?«
    Bevor ich etwas erwidern konnte, trat Mr Schnurrbart mit offener Hose aus der Bordtoilette.
    O Mann. Ich schluckte, drehte mich um und betete, er möge weitergehen. Bitte, geh einfach! , flehte ich inbrünstig.
    Er blieb stehen.
    »Wasser«, befahl er, schob die hungrige Passagierin beiseite und zwängte sich an ihr vorbei. Erst jetzt beschloss er, den Reißverschluss seiner Hose hochzuziehen.
    Natürlich tat ich, was jede Flugbegleiterin in dieser Situation tun würde: Ich schnappte einen Plastikbecher und füllte ihn mit Wasser. Jedes Mittel war recht, wenn er nur schnell die Kurve kratzte. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie er seinen braunen Ledergürtel mit einem lauten Schnalzen aus den Schlaufen zog. Die hungrige Passagierin trat eilig den Rückzug an.
    Bitte, lieber Gott , dachte ich, mach, dass er nur ein kleines bisschen verrückt und nicht komplett durchgeknallt ist. Ich wollte nicht wegen des zweitschlechtesten Platzes im Flugzeug oder des lausigen Fraßes in der ersten Klasse mit einem Gürtel erdrosselt werden.
    »Bitte sehr.« Ich reichte ihm das Wasser, ohne den Blick von seinem Gürtel zu lösen. Mittlerweile hielt er ihn straff zwischen den Fingern gespannt.
    »Danke.« Der Gürtel erschlaffte. Er legte ihn auf die Ablage neben meinem Sandwich.
    »Gern geschehen.« Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir. Ich war der Strangulation noch einmal entkommen.
    »Kaffee.« Eine Forderung. Keine Frage.
    Ich spähte in die Kanne. Leer. Toll. »Ich muss erst frischen kochen, bringe Ihnen aber gerne eine Tasse, sobald er fertig ist.« Vermutlich war der Wahnsinn ansteckend, denn jetzt tat ich etwas völlig Verrücktes: Ich stellte eine Frage, die ich niemals hätte stellen dürfen. Eine Frage, mit der ich diesen Verrückten vollends um den Verstand hätte bringen können. »Auf welchem Platz sitzen Sie denn?«
    »Vergessen Sie’s!« Er riss seinen Gürtel von der Ablage.
    »Tut mir leid«, keuchte ich erschrocken.
    Er rammte den Gürtel in die Schlaufen. »Allerdings. Das sollte es auch!« Er packte mein halb aufgegessenes Sandwich, biss hinein und verschwand an den Ort, den er für diesen Flug als Bleibe auserkoren hatte.
    »Äh, könnte ich jetzt vielleicht ein Brötchen haben?«, meldete sich in dieser Sekunde eine vertraute Stimme zu Wort.
    Selbstverständlich ist dieser Vorfall nicht einmal annähernd so verrückt wie das, was mir vor ein paar Monaten passiert ist. Ich stand beim Boarding auf dem Gang zwischen Business- und Economy-Class, begrüßte die Passagiere und kümmerte mich um die Garderobe, als mich eine Frau Anfang zwanzig beiseitenahm und verkündete, sie habe Fieber und fühle sich gar nicht gut. Noch bevor ich ihr vorschlagen konnte, vielleicht lieber auszusteigen und einen späteren Flug zu nehmen,
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