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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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Wandertouren und private Zusatzversicherungen … Das pack ich dann einfach nicht. Verstehen Sie das? Ich muss dann sofort weg. Und danach tut es mir gleich wieder total leid. Weil ich meine Eltern ja echt mag. Weil meine Eltern mir ja eigentlich echt
voll
viel bedeuten. Und weil ich denen ja echt viel verdanke.«
    Herr G. nickt.
    »Also nicht nur viel«, Bastian räuspert sich, »sondern ja eigentlich alles.«
    *
    »Du kannst sonst natürlich auch hier schlafen, Linchen«, hatte Ulrike Anna angeboten, wie jedes Mal, wenn es spät wird. »Oder sollen wir dir ein Taxi spendieren?«
    Anna hatte den Kopf geschüttelt. Sie fühlte sich jetzt wieder gut. Die Kopfschmerzen waren verflogen. Ulla hatte ihr das Marc-O’Polo-Jäckchen für den Weg geliehen, ihr eine Tüte mit der restlichen Schokolade, Ingwerbonbons, der gelesenen
Psychologie heute
, und dem Duschgel, das auch sie benutzt, zusammengepackt und Anna zur Tür begleitet.
    »Mach’s gut, mein Schatz«, sie küsste ihre Tochter auf den Mund. »Und schreib noch ’ne Nachricht, wenn du gut angekommen bist, ja?«
    Anna nickte. Wolfgang drückte sie fest an sich. »Komm gut nach Hause, Linchen.«
    Unten auf der Straße blickte sie sich um. Wolfgang und Ulrike schauten ihr vom Balkon hinterher. Wolfgang winkte wie bei einem Konzertbesuch mit beiden Händen über dem Kopf zu Paolo Conte im Takt.
    Anna lachte. »Geht sofort rein, es ist schweinekalt!«, rief sie.
    Aber ihre Eltern blieben auf dem Balkon stehen. Sie winkten ihr so lange hinterher, bis sie für Anna nur noch als kleine Pünktchen erkennbar waren.
    *
    Bastian lässt die große blaue Ikea-Tüte auf den Bahnsteig fallen. Bevor er eben bei seinen Eltern los ist, hat er noch schnell ein paar alte Bücher aus dem Keller, die sein Vater ausrangiert hatte, mitgenommen.
    »Du musst auch nicht warten, Papa«, sagt Bastian. Er fühlt sich irgendwie unwohl.
    Reinhard runzelt die Stirn. »Natürlich warte ich mit dir.«
    Schweigend blicken die beiden auf die Anzeigetafel, bis der Zug einfährt. Bastian schultert seine Tasche. »Wenn die beiden vom Brunch zurück sind, sag Mama und Michi, dass es mir leid tut, dass ich einfach so abhaue«, ruft Bastian durch den Zuglärm hindurch.
    »Klar«, ruft Reinhard, er hält seine Kappe fest, damit der Fahrtwind sie nicht von seinem Kopf bläst. »Pass auf dich auf, ja?«
    Bastian umarmt ihn. »Mach ich«, sagt er durch das Quietschen der Bremsen. »Und ihr auch auf euch.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, springt er in den Zug.
    *
    Herr G. stellt sich auf das Vater-Kissen. Er ist nicht nur dreidimensional, denkt Anna, als sie ihn plötzlich direkt hinter sich spürt, sondern er hat auch einen Körper. Und zwar einen, der nun fast ihren kompletten Rücken berührt. Anna muss sich furchtbar konzentrieren, um das auch nur eine Sekunde aushalten zu können. Sie hält den Atem an. Stoisch starrt sie geradeaus auf die weiße Wand.
    »Und nun? Wie fühlen Sie sich nun?«, fragt Herr G. in die Stille. Seine Stimme ist so nah, dass Anna vor Schreck zusammenzuckt.
    Sie dreht sich um. Auf der Höhe ihrer Stirn berühren Herrn G.s Lippen fast ihr Gesicht. Er überragt sie um einen halben Kopf. »Nicht umschauen«, sieht Anna die Lippen sagen. »
Fühlen
Sie einfach erst mal.« Widerwillig dreht Anna sich wieder um. »Machen Sie sonst kurz die Augen zu«, hört sie Herrn G. behutsam sagen. Nun, da sie nichts mehr sieht, spürt Anna seine Nähe nur noch mehr. Er riecht ein bisschen nach Seife. Sein Atem geht gleichmäßig, wenn er einatmet, spürt sie die Bewegung seines Brustkorbs an ihren Schultern.
    »Sie stehen
viel
zu nah an mir dran!«, platzt es viel härter, als sie will, aus Anna hinaus.
    Wortlos tritt Herr G. auf das Mutter-Kissen.
    »Selbes Gefühl?«, fragt er nach einigen Sekunden leise. Sein Atem kitzelt in Annas Nacken.
    »
Furchtbar
, ja«, sagt Anna, sie schafft es nicht, weniger schroff zu klingen. Die Nähe zu Herrn G. ist so beklemmend, dass sie noch nicht einmal darüber nachdenken kann, ob er ihre Worte persönlich nehmen könnte.
    Sein Körper tritt einen großen Schritt zurück. »So besser?«
    Annas Rücken ist endlich wieder frei. Erleichtert atmet sie aus. Sie nickt.
    »Und so?«, sagt Herr G. noch einen Meter weiter entfernt vom Vater-Kissen.
    »Nein«, antwortet Anna wie aus der Pistole geschossen. Der Abstand hinter ihrem Rücken fühlt sich plötzlich leer und kalt an.  
    Sie dreht sich zu Herrn G. um. »Das ist zu weit«, sagt sie. »Dann lieber so wie
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