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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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richtiges Feuerwerk entfachen.
Uptown, downtown, jelly on a spoon,
After sundown shiver by the moon.
    Er schaute nicht zu ihr. Das sah sie ganz genau. Er hatte den Blick mit Absicht auf das Schloss am Bühnenhorizont gerichtet, und sein Gesicht hatte den gleichen Ausdruck wie damals im Taft Grill. Und da stieg eine ungeheure Wut in ihr hoch – er zeigte ihr seine Missbilligung.
That’s the vibration that thrills me,
Funny how affection fills me,
Uptown, downtown –
    Plötzlich wurde sie von einem schier unüberwindlichen Ekel gepackt. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Bühnenlaufbahn nahm sie mit grausamer Klarheit und in nie gekannter Deutlichkeit das Publikum wahr. Was war das dort in dieser fahlen Fratze in der ersten Reihe – ein lüsternes Grinsen? Und die Mundwinkel des jungen Mädchens dort, waren sie angewidert hinuntergebogen? Oder hier diese Schultern – diese sich schüttelnden Schultern, waren das wirklich ihre? Waren sie echt? So viel war sicher: Für so was waren Schultern nicht gemacht!
Then you’ll see at a glance
I’ll need some funeral ushers with St. Vitus dance
At the end of the world I’ll –
    Hals über Kopf stürzten das Fagott und zwei der Celli sich nun in den Schlussakkord. Marcia blieb stehen, verharrte einen Augenblick auf den Zehenspitzen, jeden Muskel angespannt, ihr junges Gesicht blickte teilnahmslos und mit einem, wie ein Bubikopfmädchen im Saal nachher sagte, »dermaßen sonderbaren, fragenden Blick« ins Publikum, und dann rannte sie, ohne sich zu verbeugen, von der Bühne, verschwand hastig in ihrer Garderobe, streifte das Showkostüm ab, zog sich ihre Alltagssachen über, lief eilig auf die Straße und hielt ein Taxi an.
    In ihrem Apartment war es heiß – ein kleines Zimmer mit einer Reihe künstlerischer Fotografien und Werkausgaben von Kipling und O. Henry, die sie irgendwann mal einem Vertreter mit blauen Augen abgekauft hatte und in denen sie hin und wieder las. Und es gab etliche Stühle, die zwar alle zusammenpassten, von denen aber nicht ein einziger bequem war, außerdem eine Lampe, deren rosa Schirm mit Amseln bemalt war, und überhaupt war die ganze Atmosphäre ziemlich rosa, wobei das Rosa eher ein ersticktes war. Es gab ein paar hübsche Sachen – hübsch, aber untereinander spinnefeind und Früchte eines abgeguckten, ungeduldigen Geschmacks, der hier und da aufs Geratewohl sein Werk verrichtet hatte. Das mit Abstand Schlimmste war ein riesengroßes, in Eichenrinde gerahmtes Gemälde, das ihre Heimatstadt Passaic darstellte, von der Erie-Eisenbahn aus gesehen – ein durch und durch verzweifelter, merkwürdig affektierter, merkwürdig kümmerlicher Versuch, dem Raum eine heitere Note zu geben. Marcia wusste selber, dass der Versuch gescheitert war.
    In dieses Zimmer kam das Wunderkind und fasste sie tollpatschig bei den Händen.
    »Diesmal bin ich Ihnen gefolgt«, sagte er.
    »Oh!«
    »Ich möchte, dass Sie mich heiraten«, sagte er.
    Ihre Arme gingen zu ihm hoch. Sie küsste ihn mit einer gleichsam natürlichen Leidenschaft auf den Mund.
    »So!«
    »Ich liebe Sie«, sagte er.
    Sie küsste ihn noch einmal, dann seufzte sie kurz auf, ließ sich in einen Sessel plumpsen, saß halb liegend da und wurde von einem aberwitzigen Lachen geschüttelt.
    »Ach, du Wunderkind, du!«, rief sie.
    »Gut, gut, wenn es Ihnen Spaß macht, nennen Sie mich ruhig so. Ich hab Ihnen ja schon einmal gesagt, dass ich zehntausend Jahre älter bin als Sie – das bin ich wirklich.«
    Sie lachte abermals.
    »Ich hab’ nu mal nich gerne, wenn mich einer ablehnt.«
    »Jetzt wird Sie nie mehr irgendjemand ablehnen.«
    »Warum wollen Sie mich denn heiraten, Omar?«, fragte sie.
    Das Wunderkind stand auf und schob die Hände in die Taschen.
    »Weil ich Sie liebe, Marcia Meadow.«
    Und das war der Moment, wo sie aufhörte, Omar zu ihm zu sagen.
    »Mein lieber Junge«, sagte sie, »weißt du, irgendwie lieb ich dich ja auch. Du hast so was – ich weiß nich, was das is – aber immer, wenn du in der Nähe bist, hab ich das Gefühl, mein Herz wird durch ’ne Wringmaschine durchgedreht. Aber, Süßer –« Sie hielt inne.
    »Was aber?«
    »Viel aber. Aber du bist erst achtzehn, und ich bin schon beinah zwanzig.«
    »Unsinn!«, fiel er ihr ins Wort. »Sieh es doch mal so: Ich bin im neunzehnten Lebensjahr, und du bist neunzehn. Wir sind also ganz nah beisammen – die bewussten zehntausend Jahre mal außer Acht gelassen.«
    Marcia lachte.
    »Es gibt aber noch mehr ›Abers‹. Deine
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