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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Genick.«
    »So hier!«, sagte Horace, schwang sich aufs Reck und wiederholte die Übung.
    »Geht das nich mächtig über die Muskulatur im Nacken und die Schultern?«
    »Anfangs schon, aber binnen einer Woche hab ich das quod erat demonstrandum druntergeschrieben.«
    »Hm!«
    Horace schaukelte träge am Trapez.
    »Schomma dran gedacht, das Ganze professionell zu betreiben?«, fragte der Dicke.
    »Ich doch nicht.«
    »Is gutes Geld drin, wennze sich so ’ne Nummern zutraun und da nich bei draufgehn.«
    »Hier hab ich noch eine«, zwitscherte Horace eifrig, und dem Dicken fiel buchstäblich der Unterkiefer runter, als er sah, wie dieser Prometheus im rosa Trikot die Götter und Isaac Newton versuchte.
    Als Horace einen Abend nach dieser Begegnung von der Arbeit nach Hause kam, lag Marcia kreidebleich auf dem Sofa und wartete auf ihn.
    »Ich bin heute zweimal ohnmächtig geworden«, empfing sie ihn ohne große Vorrede.
    »Was?«
    »Jawoll. Und noch vier Monate, dann is das Baby fällig, verstehst du? Der Doktor meint, ich hätt schon vor zwei Wochen aufhören müssen zu tanzen.«
    Horace setzte sich hin und überlegte.
    »Ich freue mich natürlich«, sagte er nachdenklich, »ich meine, ich freue mich, dass wir ein Baby bekommen. Aber das bedeutet ja auch eine Menge Ausgaben.«
    »Ich hab zweihundertfünfzig auf der Bank«, sagte Marcia zuversichtlich, »und zwei Wochengagen hab ich noch zu kriegen.«
    Horace addierte schnell.
    »Und dazu mein Gehalt, das heißt, wir haben beinah vierzehnhundert für das nächste halbe Jahr.«
    Marcia zog ein enttäuschtes Gesicht.
    »Was denn, mehr nich? Ich könnt natürlich diesen Monat noch irgendwo als Sängerin was machen. Und ab März kann ich ja wieder arbeiten.«
    »Nichts da, das kommt gar nicht in Frage!«, erwiderte Horace empört. »Du bleibst schön hier. Lass doch mal überlegen – also, da wären die Arztrechnungen, und ein Kindermädchen, neben der Putzfrau. Irgendwie brauchen wir ein bisschen mehr Geld.«
    »Tja«, sagte Marcia verdrossen, »ich weiß nich, wo’s herkommen soll. Dann ist jetzt eben mal der olle Kopf dran. Die Schultern könn’ vorläufig nicht. Die sind vorübergehend außer Betrieb, die Schultern.«
    Horace stand auf und zog sich seinen Mantel an.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Ich habe eine Idee«, antwortete er. »Bin bald wieder da.«
    Als er zehn Minuten später auf dem Weg zu Skipper’s Turnhalle eilig die Straße entlanglief, erfüllte ihn ob dessen, was er sich da vorgenommen hatte, denn doch ein leises, von Humor vollkommen ungetrübtes Staunen. Wie würde er sich noch vor einem Jahr über sich selbst gewundert haben! Wer aber, wenn das Leben an die Türe klopft, herein sagt, holt sich eine Menge Dinge mit ins Haus.
    Die Turnhalle war hell erleuchtet, und als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, entdeckte er den Dicken, der auf einem Stapel Segeltuchmatten saß und eine mächtige Zigarre rauchte. »Sagen Sie mal«, fing Horace ohne Umschweife an, »Sie haben doch gestern Abend gesagt, ich könnte mit den Übungen am Reck mein Geld verdienen. War das ernst gemeint?«
    »Ja, klar«, sagte der Dicke erstaunt.
    »Na ja, ich hab mir die Sache nämlich noch mal überlegt, also ich würde es ganz gerne mal probieren, glaub ich. Ich könnte jeden Abend arbeiten und samstags immer am Nachmittag – und zwar regelmäßig, wenn das Geld stimmt.«
    Der Dicke sah auf seine Armbanduhr.
    »Ach so?«, sagte er. »Na, da musste ma mit Charlie Paulson drüber reden. Wenn der sieht, was du draufhast, biste in vier Tagen engagiert. Heute kommta nich mehr rüber, aber ich werd ma sehn, dass ich ’n morgen Abend abpassen kann.«
    Der Dicke hielt Wort. Charlie Paulson kam tatsächlich am folgenden Abend und sah eine Stunde lang starr vor Staunen zu, wie das Wunderkind in den sonderbarsten Parabeln durch die Luft flog, und am nächsten Abend brachte er noch zwei hochgewachsene Männer mit, die so aussahen, als hätten sie schon im Mutterleib schwarze Zigarren geraucht und ebenso leise wie leidenschaftlich über Geld geredet. Und dann, am Samstag darauf, präsentierte Horace Tarbox seinen Torso zum allerersten Mal für Geld, nämlich beim großen Schaukampf der Turner in den Coleman Street Gardens. Und obwohl beinah fünftausend Zuschauer gekommen waren, war Horace kein bisschen aufgeregt. Schließlich hatte er schon als Kind vor Publikum vortragen müssen und hatte früh gelernt, sich nicht verrückt zu machen.
    »Hör mal, Marcia«, sagte er später
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