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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition)
Autoren: Alison Littlewood
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darauf konzentrieren, dem Verlauf der Straße zu folgen. Die weiße Nebelwand wich vor dem fahrenden Wagen zurück, sodass sie ein kurzes Stück weit sehen konnten, und schloss sich hinter ihnen wieder. Der Nebel dämpfte alles. Cass horchte auf das stetige Brummen des Motors, aber es schien nur da zu sein, wenn sie es zu hören versuchte. Der Nebel war wie eine sichtbare Stille.
    Sie hatten schon länger kein anderes Auto mehr gesehen.
    Ben rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Sind wir noch immer im Moor? Es gefällt mir nicht.«
    »Ja«, antwortete Cass und fragte sich im selben Moment, woher sie das so genau wusste. »Weit kann’s nicht mehr sein.«
    Sie ließ den Blick auf der Straße. Diese Fahrt war eher ein Schweben. Es erinnerte sie an eines von Bens Videospielen: Man fuhr einen Rennwagen, und die Straße bestand nur aus zwei kurzen Linien vor einer stummelförmigen Haube. Es war unmöglich gewesen, die Spur zu halten.
    »Was ist das?« Ben wand sich in seinem Sitz, blickte aus dem Seitenfenster. Als Cass zu ihm hinübersah, breitete sein Atemhauch sich auf der Scheibe aus. Es wirkte so, als verströme sein Körper Nebel ins Wageninnere.
    »Lass das«, sagte sie, dann dachte sie: Warum?
    Ben hob eine Hand und legte die gespreizten Finger ans Glas. Jeder Finger hinterließ eine dunkle Spur in dem Beschlag. Er drückte sich die Nase an der Scheibe platt.
    »Was siehst du, Ben?«
    »Ich dachte   … nichts«, sagte er und sank wieder auf dem Sitz zusammen. »Es war nichts.«
    Cass konzentrierte sich wieder auf die Straße. Das Licht der Scheinwerfer ließ den Nebel wie eine massive, weiße Wand erscheinen. Cass starrte angestrengt nach vorn, als er sich endlich aufzulösen schien, am Ende doch seine wahre Natur offenbarte   – nichts als in der Luft schwebende Wassertröpfchen, eine wogende, flüchtige Erscheinung. In der Mitte schien der Nebel sich plötzlich zu verdichten, sodass in seinem Herzen etwas Dunkles sichtbar wurde.
    Cass sah eine Gestalt, die mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stand. Gesichtszüge waren keine zu erkennen, nur Schatten.
    Im selben Augenblick erinnerte sie sich an die berühmten Moormorde, die in den 1960er-Jahren in dieser Gegend verübtworden waren. Ja, hier im Saddleworth Moor lagen ermordete Kinder begraben. Waren sie alle gefunden worden? Sie wusste es nicht mehr. Zum Nachdenken blieb ihr auch keine Zeit. Noch während sie an die verlorenen Kinder dachte, bremste sie scharf und schlug das Lenkrad ein. Der Wagen schleuderte und schlingerte, aber dann griffen die Reifen, und sie kamen rumpelnd zum Stehen. Ben flog nach vorn, wurde von seinem Sicherheitsgurt gehalten und in den Sitz zurückgeworfen. Diesmal beschwerte er sich ausnahmsweise nicht.
    Cass und Ben starrten sich an. Das Gesicht ihres Sohnes war weiß. Cass vermutete, dass ihres ähnlich aussah.
    Sie sah in den Rückspiegel. Der von ihren Bremsleuchten grell angestrahlte Nebel waberte dicht hinter ihnen. Wenn jetzt ein weiteres Auto kam   … Sie sah aus dem Seitenfenster. Wie weit sie auf die Gegenfahrbahn geraten war, ließ sich unmöglich feststellen.
    Ein Klappern ließ sie den Atem anhalten. Ben schrie leise auf, und als Cass sich ihm zuwandte, sah sie an seinem Fenster die Umrisse eines Gesichts, das in den Wagen spähte. Ben wich davor zurück, sodass sein kleiner Arm gegen Cass’ Körper drückte. Sie zog ihn beschützend an sich.
    Dann pochte jemand an die Scheibe. Eine Hand blitzte auf: nicht etwa zur Faust geballt, sondern mit locker gekrümmtem Zeigefinger, als klopfe jemand an eine Tür. Klopf klopf klopf. Am Mittelfinger steckte ein großer Ring, etwas mit Blüten und Blättern aus lebhaft gefärbten Steinen.
    Klopf klopf klopf.
    »Ben«, sagte Cass, »lass das Fenster runter.« Als er an sie gedrückt verharrte, fiel ihr ein, dass sie sein Fenster von ihrer Seite aus bedienen konnte. Sie legte ihm den rechten Arm noch fester um die Schultern und tastete mit der anderen Hand nach dem Schalter. Ein lautes Summen ertönte, dann sickerten Nebelfäden herein, brachten kalte, feuchte Luft mit sich.
    »Gott sei Dank«, sagte eine Stimme. »Vielen Dank, dass Sie gehalten haben!« Die Gestalt beugte sich näher zu ihnen, und ihr Gesicht erwies sich als das einer Frau, deren dunkle Locken die feuchte Luft gekräuselt hatte. »Ich bin Sally«, sagte sie. »Fahren Sie nach Darnshaw?«
    »Wir sollten jetzt weiterfahren«, sagte Sally. »Sie wollen doch nicht, dass ihnen jemand hinten reinfährt. Dies ist
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