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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond
Autoren: Dean R. Koontz
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mußte sich auch keine Sorgen mehr über die Zuverlässigkeit der Bank machen, bei der sie ihr Sparbuch hatten, denn wenn es so weiterging, würden sie in ein paar Monaten kein Sparbuch mehr haben. Allein mit Jacks Gehalt waren keine Rücklagen mehr möglich, seit er nach der letzten Finanzkrise der Stadt eine Gehaltskürzung hatte hinnehmen müssen. Die Steuern waren auch schon wieder gestiegen, sowohl die staatlichen als auch die des Bundes, und so sparte sie auch das Geld, das die Regierung kassiert und in ihrem Namen verschwendet hätte, stünde sie noch in Brot und Arbeit. Mein Gott, wenn man richtig darüber nachdachte, war es keine Tragödie, nach zehn Jahren bei IBM entlassen worden zu sein, nicht einmal eine Krise, sondern praktisch ein Fest, eine Veränderung, die ihr Leben beträchtlich verbesserte.
    »Hör auf damit, Heather«, warnte sie sich, verschloß den Behälter mit dem Sorbet wieder und stellte ihn in den Kühlschrank zurück. Jack, der ewig grinsende Optimist, vertrat die Ansicht, daß man nichts damit gewinnen konnte, wenn man ständig über schlechte Nachrichten grübelte, und er hatte natürlich recht. Sein lebensbejahendes Wesen, seine freundliche Persönlichkeit und unverwüstliche Natur hatten es ihm ermöglicht, eine alptraumhafte Kindheit und Pubertät zu überstehen, an der viele andere Menschen zerbrochen wären. In letzter Zeit hatte seine Philosophie ihm ebenfalls weitergeholfen, als er sich durch das schlimmste Jahr seiner Laufbahn bei der Polizei gekämpft hatte. Nach fast einem Jahrzehnt gemeinsam auf der Straße hatten er und Tommy Fernandez sich fast so nah wie Brüder gestanden. Tommy war jetzt seit über elf Monaten tot, aber wenigstens einmal pro Woche wachte Jack aus lebhaften Alpträumen auf, in denen sein Freund und Partner erneut starb. Er stand dann immer auf und ging in die Küche, um ein Bier zu trinken, oder ins Wohnzimmer, um eine Weile allein in der Dunkelheit zu sitzen. Meistens bemerkte er gar nicht, daß Heather von den leisen Schreien, die ihm im Schlaf entwichen, aufgewacht war. Schon vor einiger Zeit, vor ein paar Monaten, hatte sie herausbekommen, daß sie nichts tun oder sagen konnte, um ihm zu helfen; er mußte dann einfach allein sein. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, griff sie oft unter die Bettdecke und legte die Hand auf sein Laken, das noch warm von seinem Körper und feucht von dem Schweiß war, den seine Seelenqual ihm ausgetrieben hatte. Trotz allem war Jack eine wandelnde Werbung für die Kraft des positiven Denkens geblieben. Heather war entschlossen, ihm in seiner fröhlichen und hoffnungsvollen Art in nichts nachzustehen. Am Abfluß spülte sie den Rückstand des Sorbets vom Löffel. Ihre Mutter, Sally, war ein erstklassiger Jammerlappen, der jede schlechte Nachricht als persönliche Katastrophe betrachtete, selbst wenn das Ereignis, das sie nun schon wieder betroffen gemacht hatte, sich am anderen Ende der Erde ereignet und ihr völlig fremde Menschen betroffen hatte. Politische Unruhen auf den Philippinen konnten Sally zu einem verzweifelten Monolog über die höheren Preise veranlassen, die sie ihrer Meinung zufolge nun für Zucker und alles, was Zucker enthielt, zahlen mußte, wenn die philippinischen Zuckerrohrfelder bei einem blutigen Bürgerkrieg vernichtet wurden. Ein Nietnagel war für sie so schlimm wie ein gebrochener Arm für einen normalen Menschen, Kopfschmerzen kündigten unausweichlich einen bevorstehenden Schlaganfall an, und ein kleines Geschwür im Mund war ein sicheres Zeichen für Krebs im Endstadium. Diese Frau blühte bei schlechten Nachrichten und Schwermut auf. Vor elf Jahren, als Heather zwanzig war, hatte sie sich darüber gefreut, keine Beckerman mehr sein zu müssen, sondern eine McGarvey zu werden - im Gegensatz zu einigen Freundinnen, die in diesem Zeitalter des knospenden Feminismus ihren Mädchennamen auch nach der Hochzeit behalten hatten, zumindest als Hälfte eines Doppelnamens. Sie war nicht das erste Kind in der Geschichte, das entschlossen war, niemals so zu werden wie seine Eltern, doch ihr gefiel die Vorstellung, sich mit besonderer Hartnäckigkeit von allen Zügen ihrer Eltern befreit zu haben. Als Heather einen Löffel aus einer Schublade holte, die Schüssel mit dem Sorbet nahm und damit ins Wohnzimmer ging, wurde ihr klar, daß ein weiterer Vorteil ihrer Arbeitslosigkeit darin bestand, daß sie sich nicht mehr freinehmen oder einen Babysitter für Toby engagieren mußte, wenn er einmal so krank
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