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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
Autoren: Owen Matthews
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oder?«
    Er nickte missbilligend und seufzte. »Ich dachte, ich wäre überglücklich, wenn ich sie heraus hätte, aber das war ich nicht. Die Probleme begannen fast sofort, alle möglichen Spannungen. Ich dachte, ich warte ein paar Monate ab, ob es besser wird. Und es wurde besser, zu einem gewissen Grad. Also ließ ich die Dinge einfach laufen.«
    »Hast du je daran gedacht aufzugeben?«
    »Nein. Ich habe nicht einmal daran gedacht. Ich hatte mich entschieden und ihr mein Wort gegeben, und das war’s. Obwohl ich mir nie hätte vorstellen können, dass es so lange gehen würde. Nach fünf Jahren waren wir noch keinen Schritt weitergekommen. Wenn sie sich von mir getrennt hätte, wäre ich, glaube ich, ziemlich schnell darüber hinweggekommen. Da war dieser Erik … Ich wusste nie, ob da irgendwas lief, aber ich dachte, sie würde ihn nehmen, wenn es nicht mit uns klappte.«
    Er redete, als sei es nicht er selbst, den er beschrieb, sondern jemand, den er kannte – unbeteiligt, ohne Schmerz, aber mit einer Spur professionellen Bedauerns, wie ein Chirurg, der einen gebrechlichen Patienten gründlich untersucht.
    »Ich war sehr berührt, als sie mir erzählte, was sie alles durchgemacht hatte, ihre Kindheit, der Krieg. Schrecklich, wirklich. Es traf mich tief. Sie hatte so ein elendes Leben gehabt, dass ich es irgendwie wiedergutmachen wollte. Das war ein wichtiger Teil des Ganzen. Und dann war da noch die körperliche Behinderung.«
    Ein röhrendes Schneemobil kam auf uns zu. Mein Vater zuckte zusammen, als wir beiseitetraten und es in einer Abgaswolke an uns vorbeifuhr. Durch die Bäume auf der hohen Uferböschung konnten wir die steilen Dächer der Datschen der neuen Superreichen Russlands sehen – Xenias neue Nachbarn –, erbaut auf Grundstücken, die Millionen wert waren. Die alte Datscha von Andrei Wyschinski, dem Generalstaatsanwalt, der das Todesurteil meines Großvaters unterzeichnet hatte, war als falsches französisches Schloss wieder aufgebaut worden. Eine neue Welt.
    »Wer hätte gedacht, dass sich die Dinge so schnell ändern würden? Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es noch zu meinen Lebzeiten geschehen würde.«
    An jenem Abend, in der Küche der Datscha, rührte mein Vater seinen Tee mit demselben durchlöcherten Löffel, der ihn auf allen seinen Reisen wie ein Talisman begleitet hatte. Wir hatten einen unbedeutenden Streit über meine Schwester, und er stolzierte nach oben, mich mit der Teetasse wegwedelnd. Eine halbe Stunde später kam er zurück. Wir wechselten das Thema und redeten noch eine Weile. Als er aufstand, um zu Bett zu gehen, beugte er sich unvermutet vor und umarmte mich, der ich auf dem Küchentisch saß, und küsste mich flüchtig auf den Kopf.

    Ein letztes Bild. Meine Mutter, auf der Terrasse in unserem Garten in Istanbul, mit dem vierjährigen Nikita. Sie ist 72 Jahre alt, ihre Hüfte bereitet ihr Beschwerden, und sie geht am Stock. Doch als ich sie aus dem Fenster meines Arbeitszimmers beobachte, sehe ich, wie sie den Stock beiseitelegt und ein Stück altes Seil mit einer Schere abschneidet. Kit schaut begeistert zu, als sie anfängt, Seil zu springen. Langsamer, schneller, das Seil vor sich überkreuzend, sagt sie Kinderreime auf, die sie auf dem Spielplatz in Werchnedneprowsk gelernt hat. Kit ist begeistert und singt die Reime selbst. Er wedelt mit den Armen in der Luft und rennt in kindlicher Begeisterung im Kreis herum. »Eins-zwei, eins-zwei-drei, der Hase lugt hinter dem Baum hervor«, singt meine Mutter, genau, wie sie es gelernt hat, als sie so alt war wie Kit und eines von Stalins Kindern. Wie so viele russische Kinderreime ist er wunderbar rhythmisch, absurd und grausam.

    »Jäger zielt mit seinem Gewehr,
    Schießt den Hasen, peng-peng-peng,
    Schnell ins Krankenbett mit ihm!
    Der Hase sieht ganz tot aus.
    Bring ihn heim, drei-vier-fünf,
    Guck! Der kleine Hase lebt!«
    ******* Heimat.
    ******** Haus des Buches, eine Buchhandlung.

Danksagung
    Dieses Buch hat einen langen, steinigen Weg hinter sich – tatsächlich habe ich vor einem halben Leben begonnen, mir erste Notizen dazu zu machen. Es sollte viele Jahre dauern, bis daraus das Memoir wurde, das es heute ist. All meinen Freunden und Kollegen, die meine schriftstellerischen Agonien über diesen langen Zeitraum ertrugen, schulde ich großen Dank. Sie halfen mir zu erkennen, dass es nicht darum gehen sollte, über mich selbst zu schreiben, sondern über Russland.
    Fast alle meiner engen Freunde
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