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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
Autoren: Owen Matthews
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sie, aber erst in diesem Augenblick glaubte sie wirklich, dass es endlich geschehen war.

    Ein Jahr später, 1992, ging mein Vater durch die Türen der Lubjanka, auf dem Weg zu einem Termin mit der neu gebildeten Presseabteilung des KGB. Alexei Kondaurow saß in einem vornehmen Büro mit Blick über den Hof, auf dem einst Gefangene exekutiert wurden. Der KGB – oder FSK, wie er in den frühen Jelzin-Jahren hieß – sei daran interessiert, Brücken zu Sowjetologen im Westen aufzubauen, sprudelte es aus Kondaurow heraus, während Mervyn an Zitronentee nippte. Er bat Mervyn sogar, für die neue Zeitschrift des FSK einen Artikel darüber zu schreiben, wie er aus dem Ausland Recherchen über die Sowjetunion angestellt hatte. Mein Vater interessierte sich mehr dafür, Kontakt zu seinem einstigen Führungsoffizier in spe, Alexei Sunzow, aufzunehmen. Der FSK-Mann gab freundliche Geräusche von sich, doch weiter wurde nichts daraus.
    »Ich besuchte das Märchenland.« Der Autor mit Ljudmila und Marta Bibikowa in London, Sommer 1976. Sie brachte ihre eigene Bettwäsche mit.
    1998 hatten wir mehr Glück, als ich im Namen meines Vaters die Pressestelle des SWR, des russischen Auslandsnachrichtendienstes, anrief. Ich plauderte mit General Juri Kobaladse, dem aalglatten Pressesprecher, und lud ihn zu einem teuren Mittagessen inmitten der ausländischen Geschäftemacher in Moskaus bestem französischem Restaurant, Le Gastronome, ein. Kobaladse verriet mir, dass Sunzow gestorben war, seine Witwe aber noch lebte.
    Wir fanden Inna Wadimowna Sunzowa über Waleri Weltschko, den Leiter des Klubs der KGB-Veteranen. In den Büroräumen des Klubs hinter der Metrostation Oktjabrskaja wurden wir einer dicken 70-Jährigen mit freundlichem Gesicht vorgestellt. Sie und mein Vater gaben sich misstrauisch die Hand. Sie erkannten sich nicht, obwohl sie sich zweimal begegnet waren, einmal 1959 im Restaurant Ararat – nein, verbesserte Sunzowa, im Budapest. Sie waren außerdem einmal in Alexeis Auto auf die Leninberge gefahren, um Moskau bei Nacht zu sehen.
    Sunzowa kramte in ihrer Tasche und holte ein Foto von Alexei in Uniform heraus, das ein kleiner Schock für meinen Vater war, obwohl er gewusst hatte, dass Alexei ein KGB-Offizier war.
    »Ich weiß, dass er bitter enttäuscht von Ihnen war«, erzählte Inna meinem Vater. »Er klagte: ›Matthews, dieser böse Junge, hat mich schwer enttäuscht, und das nach allem, was ich für ihn getan habe.‹ Als es mit Ihnen nichts wurde, wirkte sich das auf jeden Fall negativ auf die Stellung meines Mannes im Dienst aus.«
    Mervyn fragte nicht, wer seine Ehe verhindert hatte. Er bezweifelte, dass es Alexei war, und glaubte auch nicht, dass Inna etwas darüber wusste. Sie wirkte überrascht, als Mervyn ihr die Geschichte seines Kampfes erzählte. Inna gab Mervyn nach einigem Zögern ein Foto von Alexei in Zivil.
    Mervyns ältester russischer Freund, der KGB-Mann Wadim Popow, war verschwunden. Mervyn recherchierte seinen Namen in der Leninbibliothek, doch außer seiner Doktorarbeit gab es von ihm keine weiteren Publikationen. Das Institut für Orientalische Studien, an dem er studiert hatte, war zusammengestrichen worden.
    Mein Vater fand allerdings Igor Wail, den Doktoranden, den der KGB benutzt hatte, um ihm eine Falle zu stellen. Er suchte seinen Namen einfach im Moskauer Telefonbuch. Wie sich herausstellte, hatte Wail 30 Jahre auf die Gelegenheit gewartet, sich für den Vorfall mit dem roten Pullover entschuldigen zu können. Er war an dem schicksalhaften Morgen in die Lubjanka zitiert worden, erzählte er meinem Vater, und man hatte ihn zwei Stunden lang bedroht. Mervyns Zimmer war verwanzt gewesen, und der KGB hatte kompromittierende Dinge aufgezeichnet, die Igor gesagt hatte, als er Mervyn besuchte. Igor wäre von der Universität geflogen, wenn er nicht bei dem Hinterhalt mitgemacht hätte; er hatte kaum eine Wahl gehabt. Mervyn vergab ihm anstandslos. »Das war in einem anderen Leben und in einer anderen Welt«, sagte er zu Wail. »All das liegt nun hinter uns.«

    Mein Vater und ich, wir trafen uns in den Neunzigerjahren immer wieder in Moskau. Die Begegnungen waren selten entspannt. Mein Vater missbilligte definitiv meinen zweifelhaften, unkonventionellen Lebensstil. Im Gegenzug war er in meinen Augen ein mürrischer Spielverderber. Zorn ist immer so viel unkomplizierter als Liebe, und über große Zeiträume meines Erwachsenenlebens wählte ich, aus keinem Grund, den ich so ohne Weiteres
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