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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
Autoren: Jennifer McMahon
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aussichtslos erwies, nahm sie das kleine Pfadfindermesser, das sie in den Rucksack gesteckt hatte, und bearbeitete die Stricke mit der stumpfen Klinge.
    »Schnell«, drängte ihre Mutter. »Ich glaube, sie kommt zurück.«
    »Wer?«, wollte Ruthie wissen.
    Dann lauschte sie. Ja, da waren Schritte zu hören – in dem Tunnel, durch den sie und Fawn hergefunden hatten. Jemand kam in ihre Richtung.
    »Ruthie«, sagte ihre Mutter, und in ihrem Gesicht spiegelte sich nackte Panik. »Vergiss mich! Nimm deine Schwester und geh. Nehmt den anderen Tunnel und lauft weg. Jetzt sofort!«
    »Nein«, erwiderte Ruthie gepresst. »Ich lass dich nicht im Stich. Ich hab Höllenqualen durchlitten, um hier runterzusteigen und dich zu finden, jetzt lass ich dich bestimmt nicht zurück.«
    Außer der Panik sah Ruthie noch etwas anderes im Gesicht ihrer Mutter, etwas Weicheres. Stolz , erkannte sie.
    Ruthie ließ die Stricke los, stand auf, packte den Revolver fest mit beiden Händen, so wie sie es aus Filmen kannte, und zielte damit in den Tunnel hinter ihrer Mutter. Die Schritte waren lauter geworden, und inzwischen konnten sie jemanden keuchen hören.
    »Der wird dir nichts nützen«, sagte ihre Mom resigniert. Fawn kniete zu ihren Füßen und säbelte in verzweifelter Hast an den Stricken herum.
    Ruthie blieb keine Zeit zu fragen, wieso der Revolver ihr nichts nützen würde.
    Eine Gestalt kam unter lautem Gepolter und heftigem Schnaufen in die Kammer gestürzt.
    Ruthie holte tief Luft und wollte gerade abdrücken, als sie die Gestalt erkannte.
    »Katherine!«, rief sie und ließ den Revolver sinken. Katherines Hände waren voller Blut, ihr schweißnasses Gesicht war angstverzerrt. »Was ist passiert?«
    »Da kommt was«, japste Katherine, deren Augen beinahe aus den Höhlen traten.
    Was , dachte Ruthie. Sie hat was gesagt.
    Fawn durchschnitt die letzten Fasern der Stricke.
    »Los, kommt!«, forderte Ruthies Mutter, als sie die Fesseln abschüttelte und aufstand. »Ich kenne einen Weg nach draußen.«
    Irgendwo ganz in der Nähe – aus welcher Richtung, war unmöglich zu sagen – hörten sie einen Schrei.
    Candace , fuhr es Ruthie durch den Kopf. Es hat Candace erwischt.

1910

Sara
23. September 1910
    Das Wintervolk , nennt Gertie uns, obgleich ich selbst noch zu den Lebenden zähle. Doch existieren wir außerhalb der bekannten Welt. Und wenn ich ehrlich bin, so habe ich mitunter das Gefühl, als sei auch ich nicht viel mehr als ein Geist.
    Gertie kann noch immer nicht sprechen, jedoch schreibt sie gelegentlich Worte in meine Handfläche. Wenn ich die Augen schließe, tritt sie aus den Schatten, setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. Ihre Finger sind kalt wie Eiszapfen, und jedes Mal, wenn sie mich berührt, zucke ich unwillkürlich ein wenig zusammen.
    H-U-N-G-E-R, schreibt sie, und ich sage ihr, dass sie noch warten muss.
    »Sobald es dunkel wird, gehe ich los und sehe, was ich finden kann.«
    Manchmal ist ihre Berührung so zart, dass ich gar nicht weiß, ob sie wirklich bei mir ist.
    Wir haben uns ein Heim in der Höhle eingerichtet, in demselben Labyrinth aus Gängen und Tunneln, in dem ich vor zwei Jahren meine Gertie aus dem Reich der Toten zurückholte.
    Anfangs hielten wir uns fast die ganze Zeit dort unten auf und wagten uns nur in den Wald, um zu jagen und Wasser aus dem Bach zu schöpfen. Tagsüber lässt Gertie sich nicht blicken. Nur nachts, im Schutz der Dunkelheit, scheint hin und wieder ganz kurz ein Stückchen bleicher Haut auf. Es ist, als hätte ich eine eingebildete Freundin, die stets an meiner Seite, jedoch nie zu sehen ist.
    Als unsere Vorräte zur Neige gingen, begann ich mit meinen mitternächtlichen Ausflügen in die Stadt, wo mich alle für tot halten.
    Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, in den Nachtstunden durch den Ort zu gehen. Man ist wie ein Gespenst. Die Menschen, die mich sehen, sprechen ein Gebet und ziehen die Vorhänge zu. Sie verriegeln ihre Türen und malen magische Zeichen über die Haustür, um mich fernzuhalten. Und sie haben angefangen, mir kleine Gaben hinzustellen, um meinen Zorn von ihnen abzuwenden: Gläser mit Honig, Geldstücke, Säcke voller Mehl, ja sogar eine kleine Flasche Branntwein.
    Oh, welche Macht wir Toten über die Lebenden haben!
    Ich habe Lucius einen Besuch abgestattet – ich konnte es mir nicht verkneifen. Als ich sah, wie sehr er sich vor mir fürchtete, sagte ich ihm, ich sei von den Toten zurückgekommen. »Du denkst, ich war wahnsinnig, als ich noch
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