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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
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man muss sie nicht hungern lassen oder anketten, um sie scharf zu machen, das ist ihnen angeboren, sie kommen schon so auf die Welt. Stimmt schon, ich hatte ihn wie ein Baby behandelt, und viele Leute dürften es missbilligen, ein Tier zu behandeln wie einen Menschen, wo es doch so viele Hungernde gibt, warum gibt man nicht erst denen etwas zu essen? Bestimmt gaben sie diesen Hungernden selbst etwas zu essen, wenn sich ihnen die Gelegenheit bot: Davon hatte ich keine Ahnung. Viel Glück und alles Gute für sie. Sollten sie doch in ihrer Welt leben, solange sie sich aus meiner fernhielten. Das Problem mit solchen Leuten ist, dass sie nicht in ihrer eigenen Welt bleiben können. Und zwei von ihnen hatten sich jetzt offenbar an einen Ort verir rt, wo sie nicht hingehörten. Ic h stand auf, ging zum Waldrand und rief in die Bäume hinein: Es ist Neuschnee gefallen, könnt ihr nicht verschwinden?
    Ein paar Stunden ignorierte ich sie, so gut ich konnte. Ich las in den Shakespeare-Listen: von Erstling und Flanker bis Wir rung, Gauch, Galloglass, Mengelmus und Schlund. Das gefiel mir. Doch die Schüsse hörten nicht auf, die beiden verschossen so viel Munition wie eine ganze Kompanie.
    Es stimmt schon, meine Gedanken hatten sich rasch verdüs tert, waren so schwarz wie die Welt, in der Hobbes sich befand. Ich konnte das Ganze nicht genießen und legte die Liste weg, zog meinen langen Mantel an, ging in die Scheune, stellte den Sherry auf die Werkbank, nahm die Enfield aus der Hülle, füllte neue Patronen ins Magazin und schlang sie mir um die Schulter. Ich sah noch einen Satz Patronen griffbereit auf der Werkbank liegen und wollte sie mitnehmen, doch sie hätten mir nur schwer in der Tasche gelegen, darum ließ ich sie zurück. Auch den Fernrohraufsatz nahm ich nicht mit.
    Ich nahm die weiße Decke von Hobbes' Grab, legte sie mir über die andere Schulter und ging in den Wald, in die Richtung, aus der die Schüsse herüberdröhnten. Es war nicht schwer, ihnen zu folgen, denn sie ertönten in regelmäßigen Abständen, zwei pro Minute. Die Männer schienen die Patro nen einer ganzen Garnison dabeizuhaben. Was mochten sie bloß jagen, das gesamte Wild hier im Norden? Wussten sie nicht, dass jeder nur einen Hirsch pro Jahr schießen durfte? Ich hörte, dass sie schwerkalibrige Waffen benutzten, Selbstrepetierer, die meines Wissens ebenfalls für die Jagd verboten waren. Gut bewaffnete Männer, die gut schießen konnten und sich nicht um die Gesetze kümmerten. Gut möglich, dass einer von beiden Hobbes erschossen hatte. Falls dieser Mann noch lebte, war es sogar wahrscheinlich.
    42
    Nach zwanzig Minuten stieß ich im sanften Schneefall des Waldes lautlos auf einen Mann. Er war orange gekleidet und versuchte nicht, sich zu tarnen.
    Fünf Minuten lang hatte ich nichts gehört, doch plötzlich fiel gar nicht weit entfernt ein Schuss: Der Mann stand in sei ner orangen Jagdweste da und feuerte auf zwei Hirsche, die auf dem angrenzenden Feld ästen. Hätte er sich leise verhalten, wäre ich im nächsten Augenblick über ihn gestolpert oder, falls er auf mich gewartet hätte, tot gewesen.
    Ich nahm das Gewehr von der Schulter und beobachtete ihn. Einer der beiden Hirsche brach zusammen, er hatte ihn am Hinterlauf erwischt. Das Tier blickte seinem fliehenden Gefährten nach und versuchte, im niedergedrückten Gras Halt zu finden, um ihm zu folgen. Der Jäger schoss wieder, und diesmal traf er den Hirsch in den Hals, und das Tier stürz te reglos auf seine rechte Körperseite.
    Ich wartete noch. Der Jäger rührte sich nicht vom Fleck, er ging nicht zu dem Hirsch, was mir seltsam vorkam. Vielleicht wartete er auf seinen Gefährten, um ihn ebenfalls zu erschie ßen, doch er wusste bestimmt, dass der zweite Hirsch nicht so schnell zurückkehren würde. Wo war der andere Schütze überhaupt? Hatte ich mich geirrt, und er war allein?
    Ich hörte mich ziemlich laut murmeln: Anhand eurer Schüs se habe ich zwei von euch entmummt, und ein jeder streift mit blankgezogenem Gewehr gefitticht durch den Wald.
    Ja, ich hatte zwei Gewehre gezählt. Der andere musste irgend wo versteckt sein oder ein anderes Tier verfolgen. Ich wartete noch ein paar Minuten, entsicherte dann und lud vorsichtig durch, und als ich das Gewehr hob und zielen wollte, sah ich, wie der Mann in panischer Angst seine Waffe auf mich richtete. Im selben Moment, in dem er abdrückte, trat ich einen Schritt nach links, Rindensplitter flogen gegen mein rechtes Ohr, und dann traf
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