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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: John Marsden
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erinnerte mich daran, Schelte bekommen zu haben, weil ich ein Feuerzeug aufessen wollte, und daran, dass ich mich verbrannt hatte, weil ich über die Kaffeekanne gestolpert war, und an eine Maus, die zuckend in der Falle lag und bei deren Anblick ich ein ungutes Gefühl hatte.
Geschmäcker, Gerüche, Farben, kalte und warme Speisen, Mahlzeiten und Imbisse und Getränke… mein Kopf glich weniger einer Hand voll Erinnerungen als einer arabischen Vorspeisenplatte. Mir fiel kaum auf, dass die Küche ebenso kahl und leer war wie das Sonnenzimmer. Sie enthielt einen Brennstoffofen und einen mehrflammigen Gasherd, sonst aber nichts.
Ich ging von einem Zimmer ins nächste, Ralph ständig im Schlepptau. Das Wohnzimmer und das Esszimmer lösten keine Erinnerungen aus, doch als wir die Schlafzimmer erreichten, passierte etwas. Im großen Schlafzimmer erinnerte ich mich lebhaft an ein riesiges altes Bett – aus Eiche, glaube ich – und an große schwere und zueinander passende Möbel. Und an ein weiches Federbett und eine mit lila Blumen verzierte Tagesdecke.
Ich drehte mich zu Ralph um. »Wo sind die Möbel hingekommen?«
Er machte ein unbehagliches Gesicht. »Na ja… du weißt ja, wie das ist, mit der Zeit ging ein Teil nach dem anderen kaputt. Ein Grund waren die Holzwürmer. Dann regnete es an mehreren Stellen durch das Dach, das hat noch ein paar Sachen ruiniert.«
Ohne etwas zu erwidern, ging ich weiter in das kleine Zimmer im rechten Winkel des Hauses. Ich wusste, wo ich mich jetzt befand. Obwohl das Himmelblau der Wände verblasst war und lauter Risse bekommen hatte, musste man immer noch an einen Frühjahrshimmel denken. Mein Bett hatte mitten im Zimmer gestanden, mit Blick auf die Palme vor dem großen Fenster und auf die Hecke durch das Fenster an der rechten Wand. In der Ecke zwischen den beiden Fenstern hatte eine Kommode gestanden und an der Wand zum Flur ein Kleiderschrank. Auf der Ablage der Kommode waren meine Teddybären und Puppen und Stofftiere daheim gewesen – zumindest die Puppen, die im Bett keinen Platz mehr fanden.
Als ich einen Blick auf die Wand hinter mir warf, in den Winkel neben der Tür, machte mein Herz einen kleinen Satz, fast so, als hätte es geniest. Dort hing in einem alten einfachen Goldrahmen ein Bild, das wie durch ein Fenster einen dunklen Hügel und eine Mondsichel zeigte. Unter dem Bild stand ein Gedicht, das ich auswendig konnte.
    Schlaf süß, mein lieber Gast, Friede wünsch ich dir und Rast, Die stille Nacht beschütze dich Bis zum ersten Morgenlicht. Erwache denn und sei erfrischt.
    Komisch, obwohl die Worte in meinem Kopf wie ein Echo hallten, war es nicht meine eigene Stimme, die ich da hörte. Jemand las mir die Worte vor. Wer war das? Die Stimme gehörte einer Frau, sie war weich und sanft. Die meiner Mutter? Eben das wusste ich nicht. Und würde es nie erfahren.
    Wir hatten die Eingangstür erreicht und standen auf der Veranda. Im Westen fiel die Sonne wie ein Stein herab. Wie ein Brocken glühenden Vulkangesteins.
    Ralph räusperte sich. »Wird Zeit, dass wir zurückgehen«, sagte er leise.
Plötzlich wusste ich, dass ich niemals in ihrem Haus übernachten könnte. Erstaunt über meine eigenen Worte sagte ich: »Ich schlafe heute Nacht hier.«
2
    Das Abendessen mit Ralph und Sylvia verlief in einer mürrischen und unangenehmen Stimmung. Sylvia tat mir irgendwie Leid, sie hatte sich so bemüht, etwas Besonderes zu kochen. Kürbissuppe mit Chilischoten, Lammkoteletts auf Reis und dazu einen Eintopf aus Kartoffeln und Rüben. Ich fand zwar, dass Kartoffeln und Rüben nicht wirklich zu Lamm und Reis passten, aber woher wollte ich das so genau wissen? Was Essen anlangt, kenne ich mich überhaupt nicht aus.
    Die Suppe aß ich fast ganz auf, denn mal ehrlich, egal, wie mies man sich fühlt: Suppe rinnt immer irgendwie die Kehle runter. Außerdem mag ich Essen mit Chili. Den Reis schaffte ich auch noch und sogar zwei Happen vom Lamm. Ich würde mich nicht als strikte Vegetarierin bezeichnen, aber ich esse selten Fleisch und auch nur dann, wenn ich Lust darauf habe. Rüben kann ich nicht ausstehen.
    Vielleicht wäre das ja noch angegangen, doch dann stellte Sylvia einen Käsekuchen mit Himbeeren auf den Tisch und ich wusste, wenn ich den jetzt auch noch verdrückte, würde mein Magen verrückt spielen. Also lehnte ich möglichst höflich ab, woraufhin Sylvia ihren Stuhl zurückschob, den Löffel hinpfefferte und in die Küche stürmte.
    Ich blieb mit einem elenden Gefühl
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