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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: John Marsden
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dann die Scheune aufschließen, unters Dach steigen und eine Matratze und die vier Einzelteile eines Bettes nach unten befördern. Als wir alles zum Haus und in mein altes Zimmer gebracht hatten, fiel Ralph auf, dass er keinen Schraubenzieher dabei hatte – also wieder retour, noch einmal zur Scheune, Schraubenzieher holen.
Als er schließlich sagte: »Möchtest du jetzt nicht doch noch mit uns essen?«, hatte ich wieder einen dieser Anfälle von Schwäche und schlechtem Gewissen und erklärte mich einverstanden.
Am Ende war es keine gute Idee gewesen, bedenkt man, welche Reaktion ich bei Sylvia ausgelöst hatte.
Ich ging aus dem Haus und ignorierte Ralph, der mir ins Freie folgte und meinte: »Du musst noch nicht zum Hof zurück. Du kannst gerne hier bleiben und fernsehen. Mach dir wegen Sylvia keine Sorgen, sie ist ein wenig gestresst, das ist alles.«
Es war nicht ganz so finster wie vorhin, weil der Mond inzwischen über dem Hügel hinter dem Obstgarten aufgegangen war. Trotzdem wäre ich auf dem Weg zum Entenweiher ein paar Mal beinahe hingefallen. Irgendwann dachte ich, ich hätte mich verlaufen, und wurde panisch, doch dann sah ich die Silhouette des Hofs, die mir wie ein Leuchtturm den Weg wies, und ab da war ich wieder okay.
Nachdem wir das Bett abgeliefert hatten, hatten wir das Haus unversperrt gelassen. Irgendwo auf der Veranda gab es ein Licht, aber da ich nicht wusste, wo der Schalter war, suchte ich erst gar nicht danach. Stattdessen öffnete ich die Tür und tastete mich in das Sonnenzimmer.
Es war unbeschreiblich finster. Die Luft roch abgestanden. Eine Spinnwebe wischte wie ein Hauch über mein Gesicht und blieb an meiner Augenbraue kleben. Einen Moment lang wurde mir richtig übel, während ich mit ausgestreckten Armen die Wand nach dem Schalter abtastete. Ich wusste nicht, was ich hier sollte. Ich wusste nicht, was aus mir werden würde. Ich wusste nicht, wo der verfluchte Schalter war.
Man kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich ihn endlich unter den Fingern spürte. Danach wurde alles einfacher. Mit dem Licht im Sonnenzimmer fand ich den Schalter in der Küche, drehte das Licht an und arbeitete mich von dort durch das ganze Haus und drückte auf jeden Schalter, den ich finden konnte. Erst dann fühlte ich mich etwas sicherer.
Mit Ralphs Allzweckschraubenzieher hatten wir das Bett in meinem Zimmer bereits aufgestellt. Doch jetzt dachte ich, noch nie in meinem Leben etwas so Verlorenes gesehen zu haben wie dieses kleine Bett in dem kahlen kalten Zimmer. Ich holte meine Tasche und packte meine Sachen aus. Der Anblick meiner Habseligkeiten half ein wenig. Das Schlimmste war, dass es kein Bettzeug gab. Ich hatte vorgehabt, Sylvia darum zu bitten, doch nach dem misslungenen Abendessen hatte ich mich nicht dazu überwinden können und jetzt würde mich nichts in der Welt mehr dazu bringen, noch einmal zurückzugehen.
Da ich nicht einmal ein Kissen hatte, rollte ich meinen Pyjama zusammen. Dann ging ich noch einmal durch das ganze Haus und drehte überall die Lichter ab. Als ich wieder in meinem Zimmer war, zog ich einen Parka und meine dicken Leinenhosen über meine Klamotten an und streckte mich auf der Matratze aus.
Besonders bequem war es nicht. Außerdem würde ich bis zum Morgen ziemlich frieren. Ich hatte ein Buch dabei, es hieß Der Schlächterbursche und die Hälfte davon hatte ich schon im Zug gelesen, aber jetzt hatte ich keine Lust, weiterzulesen. Einen Discman hatte ich auch, aber die Batterien taugten nichts mehr, weil ich im Zug in einem fort Lena Horne gehört hatte.
Eigentlich wollte ich auch keine Musik mehr hören. Ich wollte… etwas spüren. Was immer auf dem Hof auf mich wartete, was immer darauf wartete, gespürt zu werden. Ich wollte es erleben. Ich stand noch einmal auf, drehte das letzte Licht ab und tastete mich zum Bett zurück.
Es war zwar noch ziemlich früh, aber das war egal. Sonst gab es nichts zu tun und außerdem war ich nach der langen Bahnfahrt müde.
Vor allem wünschte ich mir jedoch, dass in der Finsternis meines eigenen Zimmers, jetzt, da ich mich zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder in meinem eigenen Heim befand, etwas passierte, etwas Starkes, Mächtiges.
Ich lag einfach da, zitternd vor Anspannung und Erschöpfung. Wahrscheinlich vergingen nur zwei oder drei Minuten. Ich war immer noch damit beschäftigt, mich zu beruhigen, meine Gedanken zu ordnen und die Verbindung zwischen meinem Kopf und meinem Körper wiederherzustellen.
Plötzlich kam
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