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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don
Autoren: Tage der Toten
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war drinnen besonders
viel los, also trat er kurzerhand ein und stellte sich an den Rand.
    Adán war da knapp
zwanzig Jahre alt. Klein und fast zierlich gebaut. Langes, schwarzes, glatt
zurückgekämmtes Haar, Designer-Jeans, Turnschuhe von Nike, dunkelrotes Polohemd.
Teure Klamotten für dieses Barrio.
Adán Barrera legte Wert auf Eleganz, das war nicht
zu übersehen, und sein Blick verriet, dass ihm nichts entging.
    Keller schätzte ihn auf 1,68 bis 1,70, aber der Kerl,
der neben ihm stand, war mindestens 1,90 groß. Und kräftig. Massiger Brustkorb, muskulöser Hals, lange, kräftige
Glieder. Man hätte sie nicht für Brüder gehalten, dazu musste man ihnen ins
Gesicht sehen. Zwei verschiedene Körper, doch das gleiche Gesicht - dunkelbraune
Augen, milchkaffeefarbene Haut, eher spanisch als indianisch.
    Beide standen am Ring und beäugten einen Boxer, der gerade zu Boden
gegangen war. Sein Gegner stand über ihm im Ring, ein Kind eigentlich noch, mit
einem Körper, der aussah wie aus lebendem Stein gemeißelt. Dann der Blick - Keller
hatte den im Ring schon öfter erlebt -, dieser Boxer hatte den Blick des geborenen
Killers. Nur dass er jetzt ein wenig betreten dreinschaute.
    Keller sah gleich, was ihm passiert war. Er hatte soeben seinen
Sparring-Partner k. o. geschlagen und nun niemanden mehr, mit dem er trainieren
konnte. Und die beiden Brüder waren seine Manager. In einem mexikanischen Barrio gehörten solche
Szenen zum Alltag. Denn für die Kids gab es nur zwei Möglichkeiten, dem
sozialen Getto zu entkommen: Drogen oder Boxen. Der Boxer im Ring war ein
junger, aufstrebender Champion, daher der Andrang.
    Jetzt hielt der kleinere der beiden Brüder Ausschau nach einem Boxer, der
für ein paar Runden in den Ring steigen würde. Und viele junge Kerle unter den
Zuschauern hatten plötzlich etwas Interessantes an ihren Schuhspitzen zu
entdecken.
    Aber nicht Keller.
    Er fing den Blick des Kleinen auf.
    »Wer bist du?«, fragte der.
    Der Bruder musterte ihn kurz und sagte: »Ein Yankee-Bulle.« Dann reckte er
sich und rief über die Köpfe der Zuschauer hinweg: »Vete al
demonio, picaflor!«
    Mit anderen Worten: Verpiss dich, du Schwuchtel!
    Wie aus der Pistole geschossen erwiderte Keller: »Pela las nalgas,
perra. «
    Schieb's dir in den Arsch, Pissnelke.
    Aus dem Mund eines Gringos klang das schon ein bisschen merkwürdig. Der
große Bruder wollte sich durch die Menge schieben und auf Keller losgehen, doch
der kleine hielt ihn fest und flüsterte ihm etwas zu. Der Große lächelte, dann
sagte der Kleine auf Englisch zu Keller: »Du hast etwa die richtige Größe. Willst
du ein paar Runden boxen?«
    »Der ist doch noch ein Kind«, sagte Keller.
    »Der kommt schon zurecht«, sagte der Kleine. »Und mit dir allemal.«
    Keller lachte.
    »Du boxt doch, oder?«, lockte der Jungchampion. »Früher mal«, sagte
Keller. »Ein bisschen.«
    »Na, komm schon, Yankee, wir besorgen dir ein Paar Handschuhe.«
    Keller hätte ohne weiteres abwinken können. Aber der Boxsport ist heilig
in Mexiko, und wenn einen Leute, an die man seit Monaten herankommen will, in
ihre Kirche einladen, dann geht man hin.
    »Gegen wen trete ich an?«, fragte er die Umstehenden, während ihm die
Hände verbunden und in die Handschuhe geschoben wurden.
    »El leoncito de Culiacan«, kam die stolze Antwort. »Der kleine Löwe von Culiacán. Der wird mal
Weltmeister.« Keller stieg in den Ring.
    »Nimm mich nicht zu hart ran«, sagte er. »Ich bin ein alter Mann.«
    Sie hielten die Handschuhe aneinander.
    Box nicht auf Sieg, sagte sich Keller. Nimm ihn nicht zu hart ran. Du
willst hier Freunde gewinnen.
    Zehn Sekunden später schon musste er über seinen Hochmut lachen - sofern
er zwischen dem Prasseln der Hiebe dazu kam. Genauso gut hätte er gefesselt in
den Ring steigen können. Wegen des Siegs muss ich mir keine Sorgen machen,
sagte er sich. Und kurze Zeit später: Sieh zu, dass du hier lebend rauskommst.
    Das Tempo, das dieser Junge vorlegte, war atemberaubend. Keller sah die
Schläge nicht kommen, an ordentliche Deckung war nicht zu denken, an eine
angemessene Gegenoffensive erst recht nicht.
    Aber du musst es wenigstens versuchen. Es geht um den Respekt.
    Also ließ er einem linken Haken eine gerade Rechte folgen und handelte
sich dafür eine bösartige Dreierkombination ein. Bumm-bumm-bumm. Ich bin doch
keine Kesselpauke, dachte Keller und wich aus.
    Eine schlechte Idee.
    Sein Gegner setzte ihm nach, mit zwei blitzschnellen Haken, gefolgt
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