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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer
Autoren: Robert Redick
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und dem nussbraunen, über die Augen fallenden Haar, der sich mit seinen nackten Zehen in die geteerten, salzstarren Seile krallte. Der Junge, dem plötzlich einfiel, dass niemand ihm erlaubt hatte, in die Wanten zu klettern.
    Pazel prüfte umständlich die Rahnockklampen und die Knoten an den nächsten Stagen. Der Kapitän beobachtete seine Possen ungerührt. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf.
    Pazel rutschte sofort zurück an Deck. Er war wütend auf sich selbst. Pathkendle, du Dummkopf! Wenn du dir Nestefs Wohlwollen verscherzt, ist alles verloren!
    Kapitän Nestef war von den fünf Seefahrern, unter denen er gedient hatte, der gütigste: Er hatte den Fünfzehnjährigen als Einziger niemals geschlagen oder hungern lassen oder ihn gezwungen, zur Belustigung der Mannschaft den abscheulichen schwarzen Fusel namens Grehel zu trinken. Wenn Nestef ihm befohlen hätte, ins Meer zu springen, hätte Pazel auf der Stelle gehorcht. Er war Schuldknecht und konnte wie ein Sklave verhökert werden.
    Die anderen Diener an Deck – sie hießen Teerjungen, wegen der Pechflecken an ihren Händen und Füßen – streiften ihn mit verächtlichen Blicken. Sie waren älter und kräftiger als Pazel und hatten nach vielen Prügeleien in fernen Häfen schiefe Nasen, die sie wie Ehrenzeichen zur Schau trugen. Jervik, der Älteste, prahlte gar mit einem Loch im rechten Ohr, groß genug, um einen Finger hindurchzustecken. Einem Gerücht zufolge hatte ihn ein gewalttätiger Kapitän dabei ertappt, wie er eine Schüssel Pudding stahl, hatte eine Zange im Küchenherd zur Rotglut erhitzt und ihn damit ins Ohr gekniffen.
    Ein anderes Gerücht besagte, Jervik hätte nach einer verlorenen Runde im Pfeilwerfen einem anderen Jungen ein Messer in den Hals gestoßen. Pazel wusste nicht so recht, ob er die Geschichte glauben sollte. Allerdings kannte er das Funkeln, das in Jerviks Augen trat, sobald ein anderer das erste Anzeichen von Schwäche zeigte, und er wusste auch, dass der Junge stets ein Messer bei sich trug.
    Ein Bursche aus Jerviks Fußvolk deutete mit dem Kinn auf Pazel. »Der meint wohl, sein Platz ist auf dem Masttopp«, höhnte er. »Wetten, dass du ihm das ausreden kannst, Jervik?«
    »Halt’s Maul, Nat, du bist zu blöd«, sagte Jervik und fasste Pazel ins Auge.
    »Hoho, Pazel Pathkendle, jetzt verteidigt er dich auch noch«, lachte ein anderer. »Willst du dich nicht bedanken? Ich würd’s an deiner Stelle tun!«
    Jervik sah den Sprecher kalt an, bis dem das Lachen verging. »Ich hab keinen nicht verteidigt«, sagte der große Lümmel.
    »’türlich nicht, Jervik, ich mein’ ja nur …«
    »Wenn einer meine Kumpel piesackt, tret’ ich für sie ein. Für meinen guten Namen genauso. Aber ganz bestimmt nicht für so ’nen plärrenden Winzling von Ormalier.«
    Jetzt lachten alle: Jervik hatte die Erlaubnis dazu gegeben.
    Dann sagte Pazel: »Also für deine Kumpel und für deinen guten Namen. Und was ist mit deiner Ehre, Jervik, und mit deinem Wort?«
    »Für die auch«, fauchte Jervik.
    »Und mit nassem Feuer?«
    »Wie?«
    »Mit einem tauchenden Hahn? Einer vierbeinigen Ente?«
    Jervik starrte Pazel lange an. Dann glitt er geschmeidig auf ihn zu und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    »Geniale Antwort, Jervik«, sagte Pazel und wich nicht von der Stelle, obwohl seine Wange wie Feuer brannte.
    Jervik hob einen Zipfel seines Hemds an. In seinem Hosenbund steckte ein Schiffermesser mit einem abgenutzten Ledergriff.
    »Soll ich dir ’ne andre Antwort geben?«
    Sein Gesicht war nur wenige Zoll von Pazels Gesicht entfernt. Seine Lippen waren rot vom Saft minderwertiger Safranwurzel; die Augen waren gelblich verfärbt.
    »Gib mir lieber mein Messer zurück«, sagte Pazel.
    »Lügner!«, zischte Jervik. »Das Messer gehört mir!«
    »Das Messer gehörte meinem Vater. Du bist ein Dieb! Untersteh dich, es zu benutzen.«
    Jervik schlug wieder zu, diesmal noch fester. »Hoch mit den Fäusten, Muketsch «, sagte er.
    Pazel ließ die Fäuste unten. Jervik und die anderen kehrten feixend an ihre Arbeit zurück, und Pazel blieb, Tränen der Wut und des Schmerzes in den Augen, allein zurück.
    Nach dem Seefahrtsgesetz, an das sich alle Schiffe zu halten hatten, bliebe Kapitän Nestef nichts anderes übrig, als einen Teerjungen kurzerhand zu entlassen, wenn er ihn bei einer Prügelei erwischte. Jervik konnte dieses Risiko eingehen: er war Bürger des großen arqualischen Reiches, das sich über ein Drittel der bekannten Welt
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