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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer
Autoren: Robert Redick
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dass Chadfallow nicht mit ihm zusammen gesehen werden wollte, und er unterhielt sich auch niemals länger mit ihm. Aber er war für den Jungen so etwas wie der nächste Angehörige auf dieser Welt, und Pazel hatte ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.
    Zwei Jahre! Verdammt, nun zitterten ihm auch noch die Hände. Er musste heftig schlucken, bevor er mit der Herzogin sprechen konnte. Zumindest hoffte er, dass die gebeugte, uralte Frau am Fockmast, die drei Zoll kleiner war als er und unter leisem Gemurmel die goldenen Ringe an ihren Fingern hin und her drehte, die Herzogin war. Als Pazel sie ansprach, hob sie den Kopf und sah ihn durchdringend an. Ihre Augen waren groß und milchig blau, und nach einer Weile verzog sie die trockenen Lippen zu einem Lächeln.
    »He, he!«
    Die verkrümmte Hand schoss vor; ein Fingernagel schrammte über seine Wange. Er hatte doch ein paar Tränen vergossen. Die Alte fuhr sich mit dem feuchten Finger über die Lippen, ihr Grinsen wurde noch breiter. Dann fiel sie über das Teegebäck her, stopfte sich die drei größten Ingwerpralinen in den Mund und schob sich eine vierte in die Tasche. Schließlich zog sie eine alte, angekohlte Pfeife aus den Falten ihres Mantels, klopfte vor Pazels entgeistertem Blick den halb verbrannten Tabakspfropfen in die Schale mit den Lukka-Kernen, rührte mit dem Daumen um und drückte unter ständigem Flüstern und Raunen die gesamte Mischung wieder in den Pfeifenkopf. Ihr Blick kehrte zu Pazel zurück.
    »Hast du Feuerstein?«
    »Nein, gnädige Frau.«
    »Für dich immer noch Lady Oggosk! Dann hol mir eine Lampe.«
    Wie sollte er etwas holen, ohne das Tablett abzusetzen? Pazel fürchtete, die Arme würden ihm abfallen, so lange musste er die schwere, mit Walrosstran gefällte Decklaterne hochhalten, während Lady Oggosk mit ihrer Pfeife kämpfte. Schwaden von brennendem Tran, Tabak und Lukka-Kernen stiegen ihm in die Nase, und der ingwerduftende Atem der paffenden, rülpsenden Lady strich ihm wie Grabeshauch übers Gesicht. Endlich brannte die Pfeife, und sie keckerte zufrieden.
    »Nicht weinen, mein Äffchen. Er hat dich nicht vergessen – oh nein, keinen Augenblick lang!«
    Pazel sah sie verdutzt an. Sie konnte nur Chadfallow meinen, aber woher wusste sie, dass er ihn kannte? Bevor er sich überlegt hatte, wie er sie danach fragen könnte, wandte sie sich, immer noch vor sich hin glucksend, von ihm ab.
    Der dritte Passagier war ein Kaufmann, wohlgenährt und von gepflegtem Äußerem. Pazel hielt ihn auf den ersten Blick für krank: Er hatte sich einen weißen Schal um den Hals gewickelt und hielt schützend eine Hand vor die Kehle, als hätte er dort eine Wunde. Und sein Räuspern klang so quälend rau – hrrrrhm! –, dass Pazel fast den Tee verschüttet hätte. Auch dieser Mann hatte einen gesunden Appetit: Vier Kekse verschwanden in seinem Mund, gefolgt von der nächstgrößten Ingwerpraline.
    »Sauber siehst du nicht gerade aus«, sagte er unvermittelt und musterte Pazel von Kopf bis Fuß. »Wessen Seife benutzt du denn?«
    »Wessen Seife?«
    »Ist die Frage so schwierig? Wer stellt die Seife her, mit der du dir das Gesicht wäschst?«
    »Dafür gibt man uns Pottasche.«
    »Du bist als Diener hier.«
    »Nicht mehr sehr lange, Sir«, sagte Pazel. »Kapitän Nestef hat mir die Hand der Freundschaft gereicht, und dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Er meinte, ich hätte gute Aussichten mit meiner Begabung für Sprachen und …«
    »Ich für mein Teil habe natürlich ganz hervorragende Aussichten«, unterbrach ihn der Mann. »Mein Name ist Ket – und diesen Namen sollte man sich merken, man sollte ihn sich aufschreiben. Ich stehe im Begriff, Geschäfte im Wert von sechzigtausend Goldmuscheln abzuschließen. Und das auf nur einer einzigen Handelsfahrt.«
    »Wie schön für Sie, Sir. Beeindruckend. Fahren Sie etwa mit der Chathrand ?«
    »Du wirst in deinem ganzen Leben keine sechzigtausend Muscheln zu sehen bekommen – nicht einmal sechs. Und jetzt geh.«
    Er legte etwas auf das Tablett und schickte Pazel mit einer Handbewegung fort. Pazel verneigte sich und zog sich zurück, bevor er sich das Geschenk ansah. Es war eine blassgrüne Scheibe mit den aufgeprägten Worten ›K ET S EIFE ‹.
    Eine von diesen sechzigtausend Münzen wäre ihm lieber gewesen, dennoch steckte er die Seife in die Tasche. Ein Blick auf das Tablett ließ ihm das Herz in die Hosen rutschen. Für Chadfallow waren nur noch ein kleines Häppchen Ingwerkonfekt und ein
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