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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Autoren: Dorothy L. Sayers
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um von der Landseite her noch einen Blick auf den Felsen zu werfen.
    Der Himmel bewölkte sich tatsächlich, und der Wind frischte auf. Jenseits des Felsens sah sie einen Streifen kleiner Wirbel und Strudel, von denen hin und wieder eine Gischtfontäne aufspritzte, als brächen die Wellen sich dort an verborgenen Felsen. Überall trugen die Wellen Schaumkronen, und stumpfgelbe Schlieren reflektierten die weiter draußen über dem Meer sich zusammenbrauenden Wolken. Das Fischerboot war schon fast außer Sichtweite. Es fuhr in Richtung Wilvercombe.
    Nicht ganz sicher, ob sie richtig oder falsch gehandelt hatte, packte Harriet ihre Sachen zusammen – einschließlich Schuh, Hut, Rasiermesser, Zigarettenetui und Taschentuch – und kletterte wieder die Steilküste hinauf zur Straße. Es war jetzt kurz nach halb drei.

2
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Das Zeugnis der Chaussee
    Drinnen ist niemand,
Nur das Kind und sein vergessner Ahn,
Die zu des Lebens beiden Seiten liegen.
Nah dem Grabe oder Mutterschoß.
THE SECOND BROTHER

    DONNERSTAG, 18. JUNI
    Als Harriet wieder die Straße erreichte, erschien ihr diese noch so leer und verlassen wie zuvor. Sie schlug die Richtung nach Wilvercombe ein und schritt kräftig aus. Am liebsten wäre sie gerannt, aber sie wußte, daß es nichts einbrachte, wenn sie ihre Kräfte verausgabte. Nach ungefähr einer Meile erblickte sie zu ihrer Freude eine Weggefährtin: ein etwa siebzehnjähriges Mädchen, das ein paar Kühe vor sich her trieb. Sie hielt das Mädchen an und erkundigte sich nach dem Weg zum nächsten Haus.
    Das Mädchen sah sie groß an. Harriet wiederholte ihre Frage.
    Die Antwort kam in so einem derben Devonshire-Akzent, daß Harriet wenig damit anfangen konnte, aber mit der Zeit hörte sie doch heraus, daß »Will Coffins Hof, auf Brennerton zu« die nächste menschliche Behausung sei, die man erreiche, indem man einem gewundenen Pfad nach rechts folge.
    »Wie weit ist das?« fragte Harriet.
    Das Mädchen meinte, es sei ein gutes Stück, mochte sich aber auf Meter oder Meilen nicht festlegen.
    »Na, dann werde ich’s dort mal versuchen«, sagte Harriet. »Und wenn du unterwegs jemanden triffst, sag ihm bitte, daß etwa eine Meile von hier ein Toter am Strand liegt und die Polizei verständigt werden muß.«
    Das Mädchen starrte sie verständnislos an. Harriet wiederholte ihren Auftrag und fragte:
    »Hast du verstanden?«
    »Ja, Miss«, sagte das Mädchen in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, daß es kein Wort verstanden hatte.
    Während Harriet den angegebenen Weg entlangeilte, sah sie, wie ihr das Mädchen immer noch nachstarrte.
    Will Coffins Hof entpuppte sich als ein kleines Anwesen. Harriet hatte zwanzig Minuten gebraucht, um es zu erreichen, und nun schien das Haus auch noch verlassen zu sein. Sie klopfte ergebnislos an die Tür. Sie drückte die Tür auf und rief, noch immer ergebnislos. Endlich ging sie hinters Haus.
    Nachdem sie dort noch ein paarmal gerufen hatte, erschien aus einem Nebengebäude eine Frau mit einer Schürze um und sah sie mit großen Augen an. »Sind die Männer hier?« fragte Harriet.
    Die Frau antwortete, die Männer seien alle auf der Neunmorgenwiese, um das Heu einzufahren. Harriet erklärte, am Strand liege ein Toter, und das müsse der Polizei gemeldet werden.
    »Das ist ja schrecklich«, meinte die Frau. »Es wird doch nicht Joe Smith sein? Der war heute früh mit dem Boot draußen, und die Klippen sind so gefährlich. ›Die Mahlzähne‹ sagen wir dazu.« »Nein«, sagte Harriet, »es ist kein Fischer – sieht eher aus wie einer aus der Stadt. Und ertrunken ist er auch nicht. Seine Kehle ist durchgeschnitten.« »Kehle durchgeschnitten?« wiederholte die Frau genüßlich. »Na so was! Das ist ja ganz entsetzlich!« »Ich möchte die Polizei benachrichtigen«, sagte Harriet, »bevor die Flut kommt und der Felsen mit der Leiche unter Wasser steht.«
    »Die Polizei?« Die Frau ließ sich das durch den Kopf gehen. »O ja«, meinte sie nach reiflicher Überlegung. »Das müßte man schon der Polizei sagen.«
    Harriet fragte, ob man nicht einen von den Männern holen und mit einer Nachricht wegschicken könne. Die Frau schüttelte den Kopf. Die Männer seien im Heu, und das Wetter scheine umzuschlagen. Sie glaube nicht, daß sie da jemanden entbehren könnten.
    »Telefon haben Sie wohl keins?«
    Nein, Telefon hätten sie nicht, aber Mr. Carey auf dem Roten Hof, der habe Telefon. Und um zum Roten Hof zu kommen, fügte die Frau auf Befragen hinzu, müsse man
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