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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Autoren: Dorothy L. Sayers
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waren die alle geblieben? Robert Templeton (vielleicht sogar Lord Peter Wimsey, der auf dem Lande groß geworden war) hätte dieses Rätsel gleich gelöst. Heute war Markt in Heathbury und vorgezogener Ladenschluß in Wilvercombe und Lesston Hoe – zwei Phänomene, die durchaus miteinander zusammenhingen, damit nämlich die Bewohner der beiden Küstenorte die Möglichkeit hatten, dem wichtigen Ereignis in dem Marktflecken beizuwohnen. Aus diesem Grunde waren keine Händler mehr auf Lieferfahrt entlang der Küstenstraße. Und aus demselben Grunde waren auch alle Autos aus der Gegend jetzt weit im Inland. Was an Einheimischen noch hier war, arbeitete im Heu. Auf einer Wiese traf sie sogar einen Mann mit einem Jungen und einer von zwei Pferden gezogenen Mähmaschine an, aber beide sahen sie nur entsetzt an ob der Zumutung, Arbeit und Pferde stehenzulassen und die Polizei zu suchen. Der Bauer selbst war (natürlich) auf dem Markt in Heathbury. Harriet hinterließ (ohne große Hoffnung) eine Nachricht für ihn und stapfte weiter.
    Bald darauf kam dann eine Gestalt in Sicht, von der sie sich schon etwas mehr versprach: ein Mann in kurzen Hosen mit einem Rucksack auf dem Rükken – ein Wanderer wie sie. Sie rief ihm gebieterisch zu.
    »Hören Sie, können Sie mir sagen, wo ich hier jemanden mit einem Auto oder ein Telefon finde?
    Es ist furchtbar wichtig.«
    Der Mann, ein spindeldürres Kerlchen mit rötlichem Haar, gewölbter Stirn und starker Brille, sah sie mit höflicher Hilflosigkeit an.
    »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich bin hier nämlich selbst fremd.«
    »Gut, aber könnten Sie –?« begann Harriet, dann stockte sie. Was konnte er schließlich tun? Er saß im selben Boot wie sie. In einem törichten Rückfall in viktorianische Denkweisen hatte sie sich irgendwie eingebildet, ein Mann werde sich energischer und findiger zeigen, aber er war schließlich auch nur ein Mensch mit den üblichen zwei Beinen und einem Kopf.
    »Sehen Sie«, erklärte sie, »dort liegt nämlich ein Toter am Strand.« Sie zeigte auf eine unbestimmte Stelle hinter sich.
    »Nein, wirklich?« rief der junge Mann. »Hören Sie mal, das ist aber doch ein starkes Stück, wie? Ist es ein – Freund von Ihnen?«
    »Das nun nicht gerade«, entgegnete Harriet. »Ich kenne ihn überhaupt nicht. Aber die Polizei müßte verständigt werden.«
    »Die Polizei? Ach ja, natürlich, die Polizei. Na ja, in Wilvercombe finden Sie welche. Da gibt’s eine Polizeistation.«
    »Das weiß ich«, sagte Harriet, »aber der Tote liegt weit unten bei der Niedrigwassermarke, und wenn ich nicht ganz schnell jemanden hinschicken kann, spült die Flut ihn fort. Wahrscheinlich ist er jetzt sogar schon weg. Mein Gott! Es ist ja gleich vier!«
    »Die Flut? Ach ja. Doch, das kann schon sein.
    Falls« – ihm schien ein genialer Gedanke zu kommen – »falls jetzt Flut ist. Es könnte doch auch gerade Ebbe sein, oder?«
    »Könnte schon, ist aber nicht«, sagte Harriet unwirsch. »Seit zwei Uhr kommt die Flut. Haben Sie das nicht gemerkt?«
    »Hmm, also nein, nicht daß ich wüßte. Ich bin nämlich kurzsichtig. Und außerdem verstehe ich nichts davon. Ich lebe in London. Und leider weiß ich auch nicht, was man da machen kann. Hier in der Nähe gibt es wohl keine Polizei, oder?« Er schaute in die Runde, als erwartete er irgendwo in der näheren Umgebung einen Konstabler auf dem Streifengang zu sehen.
    »Sind Sie in letzter Zeit an irgendwelchen Häusern vorbeigekommen?« fragte Harriet.
    »Häusern? O ja – ich glaube, ein Stückchen weiter hinten habe ich ein paar kleine Häuser gesehen. Doch, ich bin sicher. Da treffen Sie bestimmt Leute.«
    »Dann versuche ich’s dort. Und wenn Ihnen jemand begegnet, könnten Sie ihm bitte sagen, daß am Strand ein Mann liegt – mit durchgeschnittener Kehle.«
    »Mit durchgeschnittener Kehle?«
    »Ja. Nicht weit von den Klippen, die man hier Mahlzähne nennt.«
    »Wer hat ihm die Kehle durchgeschnitten?« »Woher soll ich das wissen? Ich nehme an, er war es selbst.«
    »So – ach ja, natürlich. Ja. Sonst wär’s ja auch Mord, nicht wahr?«
    »Na ja, es kann natürlich auch ein Mord gewesen sein.«
    Der Wanderer umklammerte nervös seinen Stock. »Oh! Das möchte ich aber lieber nicht annehmen. Sie etwa?«
    »Man kann nie wissen«, sagte Harriet, außer sich. »An Ihrer Stelle würde ich mich jetzt beeilen.
    Der Mörder könnte nämlich noch irgendwo in der Gegend sein.«
    »Großer Gott!« sagte der junge Mann aus
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