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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos
Autoren: Erwin Kohl
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Niemand wollte diesen Dialog. Es war ihnen nur mühsam gelungen, die Vorkommnisse zu verdrängen. Vorgestern in der Festung, dem Polizeipräsidium am Fürstenbergplatz, kam Joshua sich vor wie bei einem Spaziergang über den Nordfriedhof. Der Schock steckte allen Kollegen auch jetzt noch, eine Woche nach der schrecklichen Tat, in den Gliedern. Sie hatten ständig mit den abartigsten Verbrechen zu kämpfen, aber dieses Mal war alles anders. Die Anonymität von Opfer und Täter, die nötige Schutzschicht, sie fehlte.
    Es hatte einen aus ihrer Mitte erwischt. Sie mochten Oberkommissar Klaus Dahlmann, schätzten den Kollegen und Menschen. Als Sänger und Gitarrist seiner Rockband ›Cops‹ war er der Star jeder Betriebsparty im alten Keller der Festung gewesen. Der Fall war so brutal eindeutig, dass Rechtsmediziner Eugen Strietzel den Leichnam bereits am nächsten Tag freigegeben hatte. Joshua sah die Beerdigung vor sich. Einige hundert Kollegen aus Düsseldorf und der näheren Umgebung hatten Klaus Dahlmann bei strömendem Regen das letzte Geleit gegeben. Bei dem Anblick der jungen Witwe und den beiden Mädchen am Grab musste Joshua weinen. Er musste an Janine und seine Kinder Britt und David denken und daran, dass es ihn zweimal fast erwischt hätte. Was hatte Janine damals durchmachen müssen?
    »Die Beweislage scheint klar«, ergriff Bornmeier das Wort, »im Auto des Verdächtigen haben die Kollegen die Tatwaffe mit seinen Fingerabdrücken gefunden. Alibi Fehlanzeige.«
    Die Einschränkung ›scheint‹ förderte Joshuas Aufmerksamkeit. Er kannte die Ermittlungsakten nicht. Was er über die Tat wusste, wurde ihm in der Hauptsache von Elmar Seifert vor der Beerdigung berichtet. Das allein reichte ihm, die Wut, die aus jedem von Seiferts Worten klang, zu verstehen. Klaus Dahlmann war an diesem Spätnachmittag in der Nähe seiner Wohnung in Meerbusch joggen. Anhand von Fingerprints und Fußspuren hatten die Kollegen den Tathergang einigermaßen genau rekonstruieren können. Während Dahlmann mit den Händen auf dem Dach seines Fahrzeuges Dehnübungen gemacht hatte, musste der Täter sich aus einem angrenzenden Gebüsch angeschlichen haben. Er war hinter den Polizisten getreten und noch bevor dieser reagieren konnte, hatte der Täter die Hand auf die Stirn des Opfers gelegt, den Kopf nach hinten gezogen und mit einem großen Fleischermesser die Halsschlagader des Kollegen durchtrennt. Bereits am nächsten Tag hatten sie ihn festnehmen können. Eine Zeugin hatte einen Mann beobachtet, der mit einem blutigen Messer in der Hand in ein Fahrzeug gestiegen war und sich das Kennzeichen notiert.
    »Wo liegt das Problem?«, beendete Karin die erneut eintretende Stille. Dem Staatsanwalt war anzusehen, wie unangenehm es ihm war. Er räusperte sich erneut. Joshua hatte Bornmeier noch nie derart verunsichert erlebt. Gewöhnlich strahlte der Staatsanwalt ein hohes Maß an Souveränität und Selbstsicherheit aus.
    »Gut möglich, dass es kein Problem gibt. Aber ich möchte vor der Hauptverhandlung Sicherheit haben. Der Verdächtige weigert sich beharrlich, ein Geständnis abzulegen. Er ist der festen Überzeugung, Opfer eines Justizirrtums zu sein.«
    »Wäre nicht der Erste«, nutzte Joshua eine Gedankenpause des Staatsanwaltes. Bornmeier nickte bedächtig.
    »Ja, schon. Aber Seifert und seine Leute können mir kein Motiv liefern. Außerdem scheint es keinerlei Verbindungen zwischen Täter und Opfer zu geben. Hornbach bestreitet energisch, Klaus Dahlmann gekannt zu haben.«
    Ein Albtraum, dachte Joshua. Warum musste Dahlmann sterben? Diese Frage quälte alle. Der Täter allein reichte nicht, jeder wollte wissen, was einen Menschen zu einer derart schrecklichen Tat trieb, verstehen, was nicht zu verstehen war.
    Joshua fiel die Zeit der Ausbildung ein. Er dachte an Drömer, einen seiner Lehrer. Mit dem mächtigen Oberlippenbart erinnerte er Joshua an einen Seelöwen. Drömereröffnete den Unterricht oft mit den Worten: »Zwei Dinge braucht ein Mord – Motiv und Gelegenheit, sonst ist er nicht echt.« Indizien, lehrte Drömer, können manchmal trügerisch sein.
    »Wenn das Opfer kein Kollege wäre«, fuhr Bornmeier fort, »in diesem Fall sind die ermittelnden Kollegen, wie soll ich mich ausdrücken«, Bornmeier spielte nervös mit den Fingern, »nun ja, besonders motiviert.«
    Der Staatsanwalt unterstellte den Ermittlern Befangenheit, fuhr es Joshua durch den Kopf. Die sich anschleichende Empörung wurde von Verständnis
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