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Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht
Autoren: Joe Schlosser
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verboten. Die Brigade sprach mit den Redakteuren und den Druckern. Sie besichtigten die Druckerei, in der auf ausrangierten Druckmaschinen aus der DDR die Zeitung hergestellt wurde. Da Nicaraguas einzige Papierfabrik nur Toilettenpapier und Servietten herstellen konnte, wurde das Zeitungspapier für die Barricada aus der Sowjetunion eingeführt. Die Setzer arbeiteten mit einem EDV-unterstützten System, das noch aus der Somoza-Zeit stammte und amerikanischen Ursprungs war. Da die USA ein Handelsembargo gegenüber Nicaragua verhängt hatten, war die Ersatzteilbeschaffung für diese Technik vollkommen von der Solidaritätsbewegung in den Vereinigten Staaten abhängig. Gleiche Schwierigkeiten gab es auch mit der Bearbeitung von Photos. Alle hierzu vorhandenen technischen Geräte waren auf ein System von Kodak ausgerichtet. Und zu allen Problemen kam noch hinzu, dass die noch vorhandenen US-Chemikalien nicht gut mit dem neuen Photopapier aus der UdSSR korrespondierten.
    Die Barricada wurde mit etwa zwanzig Seiten täglich ausgegeben und kostete lediglich fünf Cordobas. Begründet mit der Erklärung des nationalen Notstandes als Folge der US-amerikanischen Interventionspolitik unterlag sie wie alle Zeitungen des Landes einer Zensur. Zensiert wurden Berichte über die Sicherheitslage und die Militärberichterstattung. Konterrevolutionäre Agitation war verboten. Trotzdem gab es sie. Zum Beispiel in der konservativen „Prensa“, einer anderen Zeitung in Managua, die keine Gelegenheit ausließ, die sandinistische Regierung subtil und in suggestiver Art und Weise zu kritisieren. So wurde immer wieder in Kreuzworträtseln des Blattes nach dem Namen des Mannes gefragt, der als Präsident Nicaraguas vor den sandinistischen Diktatoren flüchten musste. Verboten worden war sie deshalb bislang noch nicht.
    Einige Brigadisten kritisierten die Redakteure dafür, dass sie sehr viel agitierten und wenig informierten. Der Chefredakteur gab das ohne Ausflüchte zu. Seiner Meinung nach machte das die derzeitige Bedrohung durch die USA erforderlich. Und früher wäre das anders gewesen, behauptete er. Einige sprachkundige Brigadisten ließen sich alte Zeitungen vorlegen und stellten fest, dass das zutraf. Die revolutionäre Diskussion geschah früher viel öffentlicher und unter Berücksichtigung verschiedener Strömungen. Bürger konnten ihre Fragen stellen, und die Verantwortlichen hatten prompt in der Barricada zu antworten. So wollten einige Lehrer aus Matagalpa wissen, warum ihre Gehälter immer verspätet kamen. Der zuständige Minister hatte ihnen gegenüber persönlich dazu Stellung genommen.
    Der Vizedirektor der Barricada, Renaldo Reíz, verteidigte weiter die Agitation seiner Zeitung. Er betonte, dass andere Parteien in Nicaragua nicht verboten seien und die konservative Partei über ihre Zeitung Prensa ständig gegen die Regierung arbeite und sogar die kommunistische MAP-ML, die an der Seite der Sandinisten gegen Somoza gekämpft hatte, heute harte Kritik an der Regierung verübe, da sie ihr zu bürgerlich erschien. Trotzdem würde die Regierung an ihrem Kurs festhalten und Nicaragua in eine demokratische Struktur führen wollen. Jede der Parteien, die sich an Wahlen beteiligt hatte, säße mit Vertretern in der verfassungsgebenden Versammlung, die in den kommenden zwei Jahren eine neue Verfassung ausarbeiten sollte.
    Dunker kamen diese Erklärungen nicht schlüssig vor. Sie waren in seinen Augen halbherzig. Wenn das Volk Nicaraguas es schon geschafft hatte, die schreckliche Diktatur siegreich zu beseitigen, dann durfte es während der Umgestaltung der Gesellschaft ihren Feinden keinen Raum geben. Es leuchtete ihm nicht ein, dass somozatreue Gegner des neuen Nicaragua ziemlich unbehelligt gegen die Regierung und damit gegen die Interessen des Volkes agitieren durften.
    Er scheute sich aber, seine Haltung konsequent zu Ende zu denken. Ein aufkommendes Gefühl von Demokratiefeindlichkeit hielt ihn ab.
    In der kommenden Nacht wurden die Brigadisten von Schüssen und Gewehrsalven in der Stadt aus dem Schlaf gerissen. Erschreckt zogen sich die meisten in die hintere Ecke der Garage zurück. Einige Mutige gingen vorsichtig vor das Haus auf die Straße. Immer wieder waren Schüsse zu hören, aber zu sehen war nichts. Es dauerte einige Zeit und Beratschlagung, wie man sich verhalten sollte, aber letztendlich war es der Hinweis eines herbeigeeilten Nachbarn, der sie beruhigte, als er erklärte, dass es sich nur um Freudensalven
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