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Will Gallows – Der Schrei des Donnerdrachen (German Edition)

Will Gallows – Der Schrei des Donnerdrachen (German Edition)

Titel: Will Gallows – Der Schrei des Donnerdrachen (German Edition)
Autoren: Derek Keilty
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oder dolchartige Zähne, zu erkennen.
    In der Mitte des Dorfes ragt der Totempfahl in den Himmel, ein sehr beeindruckendes Bauwerk. Er besteht aus vielen mannsgroßen, aufeinandergesetzten Holzblöcken, und aus jedem Block haben die Künstler in mühevoller Kleinarbeit ein Tier geschnitzt, das hier auf dem Großen Kaktusfelsen zu Hause ist: ein Frosch, ein Säbelzahnwolf, ein Stinkefisch und ein Adler. Auf der Spitze befindet sich die beeindruckendste Schnitzerei von allen – düstere Augen, die auf den östlichen Arm hinausblicken, das große Maul, aus dem zwei riesige Reißzähne nach oben ragen, fest geschlossen –, es ist der Kopf eines mächtigen Donnerdrachens. Donnerdrachen sind die größten und stärksten Geschöpfe auf dem gesamten Kaktusfelsen, auch wenn sie überwiegend in den dünnbesiedelten Gebieten des Ödlandes und der Westwälder leben. Sie haben einen langgestreckten, schuppigen Körper und messerscharfe Klauen an den Füßen und den Flügeln. Damit jagen sie Säbelzahnwölfe und Ödlandhyänen.

    Wenn wir früher, als ich noch ein Kind war, Onkel Wilder Wolf besucht haben, hatte ich immer fürchterliche Angst vor den Drachen. Darum habe ich mich auch meistens in seinem Zelt verkrochen.
    Jetzt war es Nachmittag, und ich saß an einem kleinen Lagerfeuer zwischen ein paar Tipis. Gerade hatte ich mein Gesicht mit grünen Streifen bemalt und versuchte nun, mich mit dem ledergebundenen Buch zu beschäftigen, das Wilder Wolf mir gegeben hatte. Der Titel lautete:
Medizinzauber zur Heilung von Schnittwunden und Verbrennungen
. Aber ich war abgelenkt. Nicht weit entfernt waren zwei Elfenkrieger gerade dabei, den Holzrahmen eines langgestreckten Kanus mit Tierhäuten zu beziehen. Sie wollten im Gung River fischen. Ich musste daran denken, wie lange es her war, dass ich einen schönen, fetten Stinkefisch an Land gezogen hatte.
    Jetzt trat mein Onkel aus seinem Tipi. Sein Oberkörper war nackt und seine grüne Haut mit magischen Symbolen in leuchtendem Gelb und Rot verziert. Dazu trug er eine Wildlederhose mit Fransen und buntem Perlenbesatz. Aus seinem Stirnband ragte eine einzelne Feder senkrecht nach oben, genau wie seine spitzen, langen Ohren. Die beiden parallelen weißen Streifen, die von Wange zu Wange quer über seinen Nasenrücken liefen, waren das Zeichen der Medizinmänner. Er hatte die grauen Haare zu zwei langen Zöpfen geflochten und hielt zwei hölzerne Masken, einen Köcher mit Pfeilen sowie zwei Bogen in den Händen.
    Lächelnd reichte er mir einen Bogen. »Na, komm, kleiner Krieger, du brauchst mal eine Pause. Lass uns ein bisschen schießen üben.«
    Erleichtert legte ich das Buch zur Seite. Wir gingen zu einem alten, knorrigen Baum am Rand des Dorfes.
    »Meine dickköpfige Schwester will also auf gar keinen Fall umziehen«, sagte mein Onkel unterwegs. »Das wundert mich nicht. Sie konnte schon als Kind sehr, sehr stur sein, wenn es nicht nach ihrem Willen gegangen ist.«
    »Vielleicht kannst du nächstes Mal mitkommen. Vielleicht hört sie ja auf dich.«
    »So wie damals? O nein, ich glaube kaum, dass das etwas nützen würde. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann lässt sie sich nicht mehr davon abbringen. Wie der Kaktusfelsen, der auch dem schlimmsten Tornado trotzt.«
    Ich legte die Hand auf das aus Holz geschnitzte Blasrohr, das in meinem Gürtel steckte. »Wir können sie immer noch mit Froschgift betäuben«, lachte ich. Das Blasrohr hatte ich immer dabei, zusammen mit einem Gläschen voll Gift, das aus dem Schweiß des Waldfroschs gewonnen wird. Taucht man einen Pfeil mit der Spitze nur einmal kurz in das Gift und schießt ihn ab, dann fällt der, der getroffen wird, in einen tiefen, fiebrigen Schlaf. Im letzten Jahr hatte mir dieses Gift mehr als einmal das Leben gerettet.

    Onkel Wilder Wolf lächelte. »Klingt zwar ein bisschen drastisch, aber ich muss zugeben, dass ich daran auch schon gedacht habe. Aber es wäre schon besser, wenn sie freiwillig mitkommen würde. Wenn wir sie auf die neue Ranch schleppen, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, wird alles nur noch schlimmer. Ich fürchte, es hängt damit zusammen, dass sie die Zuversicht verloren hat. Ich kann nur hoffen …« Er sprach nicht weiter.
    »Was?«
    »Ich kann nur hoffen, dass sie ihre Zuversicht wiederfindet, solange noch Zeit ist.«
    »Wir
haben
aber keine Zeit mehr. Der Arm wartet nicht auf Grandma und bricht erst dann ab, wenn sie es sich endlich überlegt hat. Es kann jeden
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