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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II.
Autoren: C.H.Beck
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Stachel saß, zeigte Wilhelm 1880 anläßlich seiner Verlobung, als er seinem Erzieher Hinzpeter erzählte, er habe nie mit der Möglichkeit gerechnet, daß «eine Dame wirklich sich für ihn interessiren könne!» – und zwar «seines unglücklichen Armes wegen».
    Der Kummer der Kronprinzessin über die Behinderung undEntwicklung ihres ältesten Sohnes steigerte sich ins Unermeßliche durch zwei weitere Schicksalsschläge: den Tod ihrer Söhne Sigismund 1866 und Waldemar 1879. Fortan herrschte in ihrer Familie, wie in der ihrer verwitweten Mutter in England, eine alles überschattende Trauer. An die idealisierte Erinnerung an die beiden verstorbenen Prinzen Sigi und Waldi konnten die überlebenden Kinder Wilhelm, Heinrich und Charlotte nie heranreichen; die jüngeren Mädchen, Viktoria, Sophie und Margarethe, schloß die Kronprinzessin dafür um so fester in ihr Herz.
Ein gewagtes Erziehungsexperiment
    Was die Ärzte mit ihren «animalischen Bädern» und Kopf- und Armstreckungsmaschinen nicht erreichen konnten, das also sollte die Erziehung vollbringen. Gerade wegen seiner Gebrechlichkeit blieb es das Ziel der Kronprinzessin, ihren erstgeborenen Sohn zu einem herausragenden liberalen Reformmonarchen heranzubilden. 1864 schrieb sie der Queen, es sei ihr sehnlichster Wunsch, daß Wilhelm so werde «wie der liebe Papa [Prinzgemahl Albert] – ein großer Mann, ein zweiter Friedrich der Große, aber anderer Art». Im Herbst 1866 wurde diese Aufgabe dem bisherigen Hauslehrer des Grafen Emil Görtz im hessischen Städtchen Schlitz, Dr. Georg Ernst Hinzpeter, übertragen. Die Bedingungen, die Hinzpeter stellte – er müsse seinen Zögling ganz «in seiner Gewalt» haben und sei nicht bereit, die Rolle eines «Spielgefährten für einen kleinen Jungen» zu übernehmen –, ließen erkennen, mit welcher Konsequenz er vorzugehen beabsichtigte. Seine spartanischen Erziehungsprinzipien in Kombination mit den hohen Erwartungen seiner Mutter bescherten dem Preußenprinzen zusätzliches Leid und eine freudlose Kindheit. Allerdings darf man die Strenge Hinzpeters auch nicht überbewerten. So trifft es etwa nicht zu, wie Wilhelm II. in seinen im Exil diktierten Jugenderinnerungen behauptete, daß Hinzpeter ihm unter schmerzlichsten Bedingungen das Reiten beigebracht habe; das hatte der Feldwebel Lucke unter Aufsicht des Militär-Gouverneurs Hauptmann von Schrötter bereits erreicht, noch ehe Hinzpeter im Oktober 1866 seine Stelle als Zivil-Erzieher antrat.
    Zehn Jahre lang, zunächst im engsten Familienkreis und dann von 1874 bis 1876 am Kasseler Gymnasium, übte Hinzpeter einen ununterbrochenen Einfluß auf die Entwicklung des künftigen Monarchen aus. In dem Bestreben, den Thronerben im liberal-bürgerlichen, «englisch-koburg’schen» Sinne zu erziehen, billigte das Kronprinzenpaar dem pietistischen «Doktor» ein Bildungsmonopol über ihren Sohn zu und wehrte die Eingriffe des regierenden Kaisers und der Hofgeneräle, die den Prinzen als altpreußischen Soldatenkönig erziehen wollten, zunächst mit Erfolg ab. Schon wenige Monate nach Hinzpeters Ernennung trat der Militär-Gouverneur gekränkt zurück; er wurde nicht durch einen selbstbewußten Militär wie etwa den nachmaligen Generalstabschef Graf Waldersee oder den späteren Reichskanzler von Caprivi ersetzt, sondern durch einen unbedeutenden, mittellosen und (wie sich später zeigen sollte) homosexuellen Leutnant namens O’Danne, der Hinzpeters Autorität in keiner Weise in Frage stellte.
    Anfangs lief alles gut. Der «Doktor» unternahm mit seinen Zöglingen Wilhelm und Heinrich des öfteren Ausflüge und Besichtigungen. Den ganzen Winter 1869/70 brachten beide Prinzen unter der Obhut Hinzpeters, O’Dannes und Dreskys in Cannes zu; im Sommer 1872 lebten sie wieder ohne Eltern in Wyk auf Föhr. Wenn auch der Lehrer mit seinen Erfolgen zunehmend unzufrieden war, so kritisierte den heranwachsenden Thronerben doch am schärfsten die eigene Mutter, die ihn weiterhin an dem Idealbild ihres englisch-coburgischen Vaters Albert und den beiden früh verstorbenen Söhnen maß. Wilhelms Briefe schickte sie ihm mit Verbesserungen zurück und klagte: «Sowohl die Hand als auch die Rechtschreibung sind schlecht – es gibt kaum ein Wort ohne Fehler oder einen fehlenden Buchstaben.» Allmählich kamen in Hinzpeter Zweifel auf, ob er seinen Zögling nicht doch weit überfordere. Doch anstatt die Warnzeichen zu beachten, zog die Kronprinzessin die Bildungsschraube noch weiter an.
    In
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