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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II
Autoren: Clark Christopher
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nehmen werde. 9 Für das Privatleben des Kronprinzen und seiner Frau, und somit auch für ihren noch kleinen Sohn Wilhelm, hatten die Ereignisse vom Juni 1863 jedoch langfristige Folgen. Mit diesem Auftritt zog das junge Paar den Zorn des Kanzlers auf sich, der sie fortan aus tiefstem Herzen hasste und dabei einen außergewöhnlichen Einfallsreichtum an den Tag legte. Mehrfach sollte er, der in den kommenden 30 Jahren die dominierende Kraft in der preußischen und deutschen Politik blieb, von nun an gegen sie intrigieren. Kurzfristig verschärften Friedrich Wilhelms öffentlicher Widerstand und Victorias ausdrückliche, persönliche Unterstützung für die Ansichten ihres Gatten die politische und gesellschaftliche Isolation des Paares am Hof: »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schmerzlich es ist«, schrieb Victoria im Juli 1863, »fortwährend von Menschen umgeben zu sein, die schon die eigene Existenz als ein Missgeschick und die eigenen Gefühle als Beweis für die eigene Verrücktheit ansehen!« 10
    Nur vor diesem Hintergrund kann man die feindseligen Reaktionen nachvollziehen, die von scheinbar nichtigen Streitigkeiten über das Training, die Schulbildung und die repräsentativen Pflichten des jungen Wilhelm und seiner Brüder ausgelöst wurden. Die Erziehung eines absolutistischen oder neo-absolutistischen Monarchen ist, wie John Röhl richtig bemerkt hat, »ipso facto immer ein Politikum ersten Grades«, weil sie die künftige Ausübung souveräner Macht betrifft. 11 Im Fall des Hofs der Hohenzollern wurden diese Bedenken überlagert und noch erschwert durch die Parteienbündnisse, die den Kronprinzen und seine Umgebung vom herrschenden Monarchen und seinem Ministerpräsidenten entfremdeten. Die daraus folgende Polarisierung spiegelte sich in zwei entgegengesetzten pädagogischen Idealen wieder: ein anglophiles, liberal-bürgerliches, gestützt auf die Kultivierung staatsbürgerlicher Tugenden
und sozialer Verantwortung, und ein altpreußisches, aristokratisches, gestützt auf die Kultivierung militärischer Fertigkeiten und Disziplin. Das wurde deutlich, als »zivile« und »militärische« Hauslehrer für Prinz Wilhelm gesucht werden mussten. Der erste von seinen Eltern zum zivilen Hauslehrer ausgewählte Kandidat musste wegen seiner progressiven, politischen Verbindungen fallen gelassen werden; am Ende fiel die Wahl auf Georg Ernst Hinzpeter, einen Mann mit engen, wenn auch indirekten Verbindungen zur »Partei des Kronprinzen«, der die ausschließliche Verantwortung für die Erziehung des Prinzen beanspruchte und auch bekam. Er blieb bis zu Wilhelms 18. Lebensjahr sein ziviler Hauslehrer. Hinzpeter legte die Ausrichtung der frühen Erziehung Wilhelms fest und verordnete ihm einen anspruchsvollen Stundenplan mit Unterricht in Latein, Geschichte, Religion, Mathematik und modernen Sprachen, der um sechs Uhr morgens begann und sechs Uhr abends endete (im Winter eine Stunde später). Ein wenig Abwechslung zur Routine boten allerdings erbauliche Besuche in Bergwerken, Werkstätten, Fabriken und Häusern der armen Arbeiter an Mittwoch- und Samstagnachmittagen.
    Es kam auch zu Konflikten um die jeweiligen Befugnisse und Zuständigkeiten der beiden Hauslehrer. Der erste »Militär-Gouverneur« des Prinzen kündigte seine Anstellung, als er erkannte, dass Wilhelms Eltern Hinzpeter den Löwenanteil an der Verantwortung für die Erziehung des Kindes zugedacht hatten. Nach seinem Rücktritt im Jahr 1867 kam es zu einem Streit um seinen Nachfolger, in den sogar das Gefolge des Königs unmittelbar hineingezogen wurde. »Wir haben unsere Ansicht glücklich durchgesetzt […]«, schrieb Victoria an ihre Mutter, »aber ich halte diese Einmischung in unsere Angelegenheiten für zu ärgerlich. Du machst Dir keine Vorstellung davon, welche Mühe die herrschende Partei sich gibt, ihre Spione in unseren ganzen Hof zu schleusen, noch davon, wie sehr sie uns hassen.« 12
    Die repräsentativen Pflichten der Prinzen waren ein weiterer Anlass zur Sorge für die Kronprinzessin und ihren Mann.
Im August 1872 gestand sie ihr »Entsetzen«, als sie hörte, dass Wilhelm zu Ehren eines Besuchs des russischen Zaren eine russische Uniform werde tragen müssen. »Ich werde natürlich nicht gefragt, und alle diese Dinge werden arrangiert, ohne dass ich in der Angelegenheit etwas zu sagen hätte.« 13 Nicht zuletzt zu dem Zweck, die Jungen aus der zwanghaften Umgebung des Hofes zu entfernen, baten Victoria und Friedrich Wilhelm den Kaiser
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