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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II
Autoren: Clark Christopher
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einheitlichen Themas die Herausbildung einer kohärenten Anschauung oder eines stabilen Verhaltenskodexes zumindest hemmte.

Wilhelm wird zum Rivalen
    An den periodisch ausbrechenden Streitigkeiten hinsichtlich Wilhelms Erziehung lässt sich der Einfluss der Generationskonflikte, persönlichen Animositäten und Polarisierung der Fraktionen auf das frühe Leben des Prinzen ablesen. In diesen Reibereien spielte Wilhelm noch eine passive Rolle; er war ein Bauer auf dem politisch-strategisch Schachbrett anderer Personen. An einem bestimmten Punkt muss ihm jedoch bewusst geworden sein, dass er durch die langjährige Fehde zwischen seinen Eltern und der regierenden Partei einen gewissen Spielraum für sich gewinnen konnte. Ein eindeutiger Schritt in dieser Richtung war im Jahr 1883 zu beobachten, als der 24-jährige Wilhelm von seinem Vater gebeten wurde, ihn bei einem offiziellen Besuch in Spanien zu begleiten. Er hatte nicht die geringste Lust mitzufahren, aber statt sich dem Vater direkt zu widersetzen, bat er insgeheim seinen Großvater – dieser hatte schon zuvor aus seiner Skepsis gegenüber der kostspieligen Exkursion kein Hehl gemacht -, die Reise mit der Begründung zu verbieten, es sei nicht wünschenswert, wenn Wilhelm zum jetzigen Zeitpunkt sein Bataillon verlasse. Dieser erfolgreiche, taktische Schritt
dürfte mit ziemlicher Sicherheit nicht der erste dieser Art gewesen sein. Als Friedrich Wilhelm nämlich herausfand, was im November 1883 wirklich geschehen war, warf er seinem Sohn in einer hitzigen Auseinandersetzung vor, »schon lange […] direkt mit dem Kaiser mit Umgehung der Eltern zu verkehren«. 19
    In dieser Zusammenarbeit zwischen Kaiser Wilhelm I. und seinem Enkel spiegelte sich ein langer Prozess einer emotionalen Neuorientierung innerhalb der Familie wieder. Bereits seitdem er etwa 15 Jahre alt war, pflegte Wilhelm eine zunehmend innige und vertrauliche Beziehung zu seinem Großvater. Anfang der achtziger Jahre begann die Intimität zwischen den beiden mehreren Zeitgenossen aufzufallen. 20 Und um 1880 gab es auch Anzeichen für eine wachsende Distanzierung von seinen Eltern. Das war vor allem seit der Verlobung Wilhelms im April 1879 mit Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg auch eine Folge des Wunsches nach größerer privater Autonomie. Wilhelms Eltern, insbesondere seine Mutter, waren maßgeblich an der Anbahnung dieser Ehe beteiligt, gegen die Proteste derjenigen, die den relativ niederen Stand der Braut ablehnten (einschließlich des Kaisers). Aber wenn Wilhelms Mutter geglaubt hatte, durch die Heirat würde sie ihrem Sohn näher kommen, so hatte sie sich getäuscht. Die anglophobe, engstirnige und durch und durch fromme »Dona«, wie Auguste Victoria von Freunden genannt wurde, entpuppte sich schon bald als »treue Stütze gerade jener Kräfte, die das Kronprinzenpaar bis aufs Messer bekämpften«. 21 Zu der wachsenden Entfremdung zwischen den beiden Haushalten kam Wilhelms immer ausgeprägtere Ablehnung der liberalen, politischen Anschauungen, die den Kronprinzen und seine Frau am Berliner Hof in die Defensive gezwungen hatten. Im Verlauf mehrerer unerfreulicher Auseinandersetzungen mit seinem Vater Anfang der achtziger Jahre machte Wilhelm deutlich, dass seine Sympathien dem herrschenden Regime galten. In diesem Vater-Sohn-Konflikt lag eine geradezu unheimliche Unvermeidlichkeit: Friedrich Wilhelm hatte seit 1862 die Politik seines Vaters abgelehnt, und Wilhelm I. hatte
sich, weil sein Vater nicht mehr lebte, in den vierziger Jahren dem herrschenden Monarchen Friedrich Wilhelm IV. widersetzt. Im Ersten Weltkrieg wurde Wilhelm II. Opfer desselben Automatismus, als sein eigener Sohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm, offen die Autorität seines Vaters in Frage stellte. Das Besondere an den achtziger Jahren war das gleichzeitige Nebeneinander dreier erwachsener Generationen, das es ermöglichte, dass die älteste und die jüngste gemeinsame Sache gegen die mittlere machten.
    Der enge Kontakt Wilhelms zum Monarchen zahlte sich 1884 zum ersten Mal in politischer Hinsicht aus, als er zum Leiter einer wichtigen, zeremoniellen Mission nach Russland auserwählt wurde. Es gab gute Gründe dafür, Wilhelm an der Stelle seines Vaters zu schicken, insbesondere die »lächerlich antirussische Haltung« des Letzteren (Holstein), 22 aber Friedrich Wilhelm hatte zu Recht das Gefühl, dass er bewusst übergangen worden war. Immerhin wurde er erst informiert, als die Entscheidung
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