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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II
Autoren: Clark Christopher
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Wichtige aktuelle Studien der Herrschaft Wilhelms II. haben bezeichnenderweise die Aufmerksamkeit von der Sphäre der hohen Politik weg und hin zu Wilhelms Präsenz in der pulsierenden Kultur des späten Kaiserreichs gelenkt. 5 Das Buch erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit einer Biografie; es ist eine Studie über die Macht des Kaisers. Das Buch bietet dem Leser eine Synthese und Interpretation. Vor allen Dingen geht es der Frage nach: Welchen Einfluss hatte es auf die Geschicke Deutschlands und der Welt, dass gerade Wilhelm II. in den turbulenten Jahren zwischen 1888 und 1918 auf dem deutschen Kaiserthron saß?

1
    Kindheit und Jugend

Macht in der Familie
    Als Wilhelm II. im Januar 1859 geboren wurde, hatte sein Großvater den preußischen Thron noch nicht bestiegen. Unmittelbar vor Wilhelms zweitem Geburtstag, im Januar 1861, war es dann soweit und fast drei Jahrzehnte sollten vergehen, ehe der Großvater im hohen Alter von 90 Jahren im März 1888 starb. Vom frühen Kindesalter an erlebte Wilhelm seinen Vater, Friedrich Wilhelm, den preußischen Kronprinz, nicht als die einzige Respektperson in seinem Umfeld. Über dem leiblichen Vater stand ein weiterer, größerer Vater, eine Gestalt von beinahe mystischem Ansehen mit der Würde und dem Rauschebart eines biblischen Patriarchen. Der Großvater war nicht nur Herr über ein Königreich und von 1871 an der Gründer eines Kaiserreichs, sondern auch das Oberhaupt seines Haushalts – ein Umstand mit weitreichenden Implikationen für das Familienleben seiner Nachkommen. 1 Im Oktober 1886 erklärte Wilhelm (im Alter von 27 Jahren) das Problem dem einstigen Freund und Vertrauten Herbert von Bismarck, dem Sohn des Kanzlers:
     
    Der Prinz sprach dann noch mit Milde von seinem Vater und sagte, der noch nie dagewesene Fall der drei erwachsenen Generationen der Regentenfamilie mache es seinem Vater schwer: überall sonst, bei regierenden und anderen Familien, habe der Vater die Autorität und der Sohn hinge pekuniär von ihm ab. Ihm [Prinz Wilhelm] aber habe der Kronprinz gar nichts zu sagen, er bekäme nicht einen Groschen von seinem Vater, sondern stände ihm, da alles vom Familienoberhaupt ressortiere, ebenso unabhängig gegenüber wie etwa Prinz Albrecht: das sei für S. Ks. H. [Seine Kaiserliche Hoheit, der Kronprinz] natürlich nicht angenehm.

    Diese seltsame Aufteilung der Macht zwischen Eltern und Großeltern war das wohl prägendste Merkmal der frühen Kindheit Wilhelms. Die Ferien der Prinzen, ihre Kleidung, militärischen Pflichten und repräsentativen Aufgaben unterstanden der letzten Entscheidungsgewalt ihres Großvaters König Wilhelms I. Der Hauslehrer wurde vom König berufen und beschäftigt, und dessen Einmischung in den Haushalt minderte erheblich den Einfluss der Eltern. 2 Wie die Kronprinzessin im Sommer 1864 ihrer Mutter anvertraute, waren ihre Kinder so gesehen »öffentlicher Besitz«. 3 Nachdem der König dem jungen Wilhelm und seinen Geschwistern im August 1865 die Erlaubnis verweigert hatte, ihre Eltern bei einer Reise nach England zu begleiten, beklagte sich die Kronprinzessin erstmals über die verstärkte Einmischung des Königs und der Königin in das Leben der Kinder. 4
    Vermutlich ließ es sich nicht vermeiden, dass zwischen zwei Generationen, die sich gleichermaßen verantwortlich für die Erziehung einer dritten fühlten, Spannungen auftraten, doch das Konfliktpotenzial wurde durch die Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen und politischen Richtungen noch erheblich geschürt, die den Hof der Hohenzollern damals polarisierten. Seit den revolutionären Unruhen von 1848/49 war der Hof Friedrich Wilhelms IV. von zwei entgegengesetzten, politischen Lagern dominiert worden: von der westlich orientierten, konservativ-liberalen Partei und von den prorussischen Erzkonservativen. Die beiden Interessengruppen hatten in den fünfziger Jahren eifrig gegeneinander intrigiert – insbesondere während des Krimkriegs, als sie diametral entgegengesetzte, außenpolitische Linien befürwortet hatten -, und der Streit schwelte immer noch, als Wilhelms Mutter England im Jahr 1858 verließ, um mit ihrem Ehemann in Berlin einen neuen Haushalt zu gründen. Die Kronprinzessin stand der »Russenfraktion« absolut feindlich gegenüber. In ihren Augen zeichneten sich deren Vertreter durch »Boshaftigkeit«, »Eifersucht«, »Antipathie« und nicht zuletzt durch eine »Abneigung gegen die Engländer und alles, was Englisch ist«, aus. »Das Wohlwollen der
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