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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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Kutschers verziehen sich und entblößen eine beeindruckende Reihe gelber Zähne. Er bremst nicht. Die Frau im Wagen stößt ein leises Quieken aus, als die Kutsche auf der verschneiten Straße schlingert. Schnell bückt sich der Junge und hebt einen Stein auf. Er wischt ihn an der Hose ab und legt ihn in die Schlaufe seiner Schleuder.
    »Zwing mich nicht dazu«, warnt er. Man kann nicht erkennen, ob der Kutscher das hört. Er donnert mit beängstigender Geschwindigkeit auf den Jungen und die Ratte zu.
    Mit lässiger Geschicklichkeit – ganz offensichtlich hat er das geübt – schleudert der Junge den Stein auf den Kutscher, der sich gerade noch rechtzeitig duckt; das Geschoss segelt über seinen Kopf hinweg in den hohen, schneebedeckten Farn des Waldes. Der Junge hat keine Zeit, einen weiteren aufzuheben, die Kutsche ist schon so nah, dass er den Schweiß der Pferde riechen kann.
    Die Ratte quiekt ein leises »Huch!« und hechtet in den Straßengraben. Der Junge folgt ihr, und in einander verknäult kullern sie den kurzen Abhang hinunter. Die Kutsche rumpelt vorbei, während die Pferde erschrocken wiehern, weil sie die beiden Räuber beinahe überrannt hätten.
    In der Kutsche stößt die verschleierte Frau einen ängstlichen Schrei aus und umklammert den Schlüssel an ihrem Hals. Der Kutscher, sehr zufrieden mit sich und seinem Wagemut, wirft einen Blick über die Schulter auf Junge und Ratte. »Vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal, ihr Armleuchter!«, brüllt er. Leider ist er dadurch kurz abgelenkt und sieht die Zedernstämme nicht fallen, die splitternd quer auf die Straße krachen. Drei Stück. Einer nach dem anderen. Bumm. Bumm. Bumm .
    Die Frau kreischt, der Kutscher fährt herum und zieht heftig an den Zügeln. Die Pferde wiehern erneut panisch. Ihre Hufe suchen auf dem glitschigen Straßenbelag verzweifelt nach Halt. Die Kutsche kippt und wackelt und gibt ein bebendes Ächzen von sich. Doch geistesgegenwärtig brüllt der Mann aus voller Brust »HÜA!« und lenkt Pferde und Wagen geschickt durch den Hinderniskurs der umgestürzten Baumstämme. Menschliche Gestalten, weibliche und männliche, tauchen aus den Bäumen auf. Sie sind ähnlich gekleidet wie der Junge, doch ihre Uniformen passen nicht zusammen. Manche tragen zerschlissene Hemden, andere haben sich mit Halstüchern maskiert. Es sind alles Kinder, das älteste vielleicht fünfzehn. Ungläubig bestaunen sie das Geschick, mit dem der Kutscher den Wagen samt den beiden panischen Pferden durch ihre Falle manövriert. Innerhalb weniger Augenblicke hat er die Blockade überwunden und treibt nun die Pferde wieder an.

    Unterdessen haben sich der Junge und die Ratte im Straßengraben wieder aufgerappelt und den Schnee von ihren Kleidern abgeklopft. Die Ratte hüpft zurück auf die Schulter des Jungen, während er die Finger an die Lippen hebt und einen schrillen Pfiff ertönen lässt. Aus dem dichten Gebüsch des Waldes kommt ein Pferd, ein braun-weiß geflecktes Pony. Der Junge springt auf und treibt es mit einem Tritt in die Flanken zum Galopp, die Ratte klammert sich an der Schulterklappe seiner Uniformjacke fest. Sie setzen über die drei Zedernstämme auf der Straße, bei der Landung spritzen Schnee und Matsch auf. Auch die Kinder im Wald haben sich aus ihrer Schockstarre gelöst und rufen ihre Pferde herbei; bald schon füllt sich die Straße mit galoppierenden Reitern, die den flüchtenden Wagen verfolgen.
    Der Kutscher weiter vorne bemerkt es, und er verflucht die Verwegenheit der Räuber. Der Wind peitscht ihm ins Gesicht, und es herrscht jetzt dichtes, eisiges Schneetreiben.
    Unter den berittenen Verfolgern gehört der Junge mit der Ratte eindeutig zu den schnellsten. Viele können das Tempo der Kutsche nicht halten und fallen zurück. Innerhalb von Minuten sind nur noch vier übrig: der Junge, ein weiterer, etwas älterer Junge und zwei Mädchen. Sie nähern sich der rasenden Kutsche und teilen sich auf, sodass zwei auf jeder Seite reiten. Ohne die Ohrenklappe der Pelzmütze loszulassen, an der sie sich inzwischen festhält, schreit die Ratte von der Schulter des Jungen dem Kutscher zu: »Rück dein Gold raus, und wir lassen dich ziehen!«
    Der Kutscher reagiert mit einem schauerlichen Fluch, der den Jungen selbst in diesem extrem hektischen Moment erröten lässt. Er hat die Kutsche nun eingeholt und kann einen Blick hineinwerfen auf die verschleierte Frau, den Schlüssel an ihrem Hals, die Truhe mit den Beschlägen. Die Frau starrt ihn
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