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Wilder Wein

Wilder Wein

Titel: Wilder Wein
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fährst du nach Düsseldorf?«
    »Um zwölf Uhr fünfunddreißig.«
    »Morgen?«
    »Nein, heute noch.«
    »Heute? Dann mußt du ja schon bald zum Bahnhof.«
    »In dreieinhalb Stunden, Darling. Das ist noch Zeit genug. Komm her, setz dich endlich.«
    Warum nicht? dachte er. Warum eigentlich nicht?
    Und er setzte sich …
    Mit dem Eilzug, der um 12 Uhr 35 Koblenz in Richtung Düsseldorf verließ, kreuzte sich kurz vor dem Bahnhof der D-Zug, welcher um diese Zeit aus Dortmund kam. Als letzterer anhielt, blickte sich Anne Selzer aus dem Fenster ihres Waggons suchend nach einem Gepäckträger auf dem Bahnsteig um. Sie entdeckte einen einzigen, der dann von ihrem großen Koffer durchaus nicht begeistert war. Er scheute sich nicht, kurzerhand in den Streik zu treten, und war nur durch die Vorausentrichtung eines Zehnmarkscheins dazu zu bewegen, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen und den Koffer zum nächsten Taxi auf dessen Standplatz vor dem Bahnhof zu transportieren.
    Das fängt ja gut an, sagte sich Anne.
    »Wohin?« fragte sie der Taxichauffeur, dem es ganz deutlich auch nicht unbedingt gefiel, sich aus seinem Sitz herauswinden und das schwere Gepäckstück im Kofferraum verstauen zu müssen.
    Für absolut unzuständig empfand er sich dann, als die Aufgabe heranstand, den Koffer hinauf zur Tür eines Kunstmalers zu bringen, dessen Atelier unterm Dach eines fünfstöckigen Gebäudes lag. Anne mußte sich zum Fahrpreis hinzu zur zusätzlichen Entrichtung eines zweiten Zehnmarkscheins bereitfinden.
    Annes Klingeln blieb erfolglos. Nichts rührte sich drinnen. Ihr wurde angst. Wenn der nicht da ist, was mache ich mit dem Koffer? fragte sie sich. Der Taxichauffeur hatte sich wohlweislich rasch die Treppe hinunter entfernt.
    Anne läutete noch ein paarmal – wieder ergebnislos, und suchte dann Hilfe bei Frau Maria Wendelin im vierten Stock. Frau Wendelin war eine Witwe, der nichts im Haus entging. Zum Glück war sie, als Anne bei ihr schellte, anwesend.
    Anne fragte sie, ob sie sich in einer kleinen Notlage an sie wenden dürfe. Für Notlagen anderer hatte Maria Wendelin, die einen betriebsamen Charakter besaß, immer etwas übrig.
    »Worum geht's denn?« fragte sie freundlich.
    »Ich würde Sie bitten, meinen schweren Koffer bei Ihnen einstellen zu dürfen. Ich wollte zu Herrn Brühe, aber er ist nicht da.«
    »Herr Brühe?«
    »Ja.«
    »Er ist da.«
    Anne guckte verwirrt.
    »Sie irren sich. Ich habe vier- oder fünfmal bei ihm geläutet.«
    »Vielleicht schläft er.«
    »Um diese Zeit?«
    »Ich könnte mir das sehr gut vorstellen.«
    »So?«
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Wehlen an der Mosel. Warum?«
    »Aus Wehlen!« freute sich Maria Wendelin. »Ein nettes Örtchen, ich kenne es zufällig, war mit meinem verstorbenen Mann zweimal dort. Nette Leute, die Wehlener.«
    So spielt das Leben. Frau Wendelin beschloß aus Sympathie spontan, dieses hübsche, nette, naive, vom Land kommende Mädchen vor einer viel größeren Notlage als der mit ihrem Koffer zu bewahren. Diesem lieben Kind müssen die Augen geöffnet werden, sagte sie sich.
    »Sie wundern sich«, erklärte sie, »daß Herr Brühe um diese Zeit schläft.«
    »Offen gestanden, ja.«
    »Er hat's nötig. Er hatte bis vor einer Stunde anstrengenden Besuch.«
    Anne dachte an eine Künstlerparty oder so etwas Ähnliches.
    »Damenbesuch«, präzisierte Frau Wendelin.
    Anne zuckte zusammen.
    »Von einer Rothaarigen?« stieß sie hervor.
    »Nein, einer Blonden.«
    Einer Blonden? Anne ließ den Verdacht gegen Sylvia fallen.
    Einer Blonden?
    Plötzlich durchflutete es Anne heiß.
    Ingrid Rehbein!
    Dieses Luder!
    Dieses unfaßbare Luder!
    »Danke!« rief Anne und stürmte vor den Augen der verdutzten, kopfschüttelnden Maria Wendelin die Treppe hinauf.
    Wieder ein Mensch, dem nicht zu helfen ist, dachte die zum Beistand jeder Art allzeit bereite Witwe.
    Anne nahm den Finger nicht mehr vom Klingelknopf, auch nicht, als sie es drinnen rumoren hörte und eine Stimme näher kam, die rief: »Verdammt noch mal, was ist denn los?«
    Die Tür ging auf, Anne zog den Finger zurück.
    Unheimlich still wurde es.
    Anne sagte nichts.
    Sie schauten einander nur an.
    Endlich, zugleich: »Anne – Frédéric!«
    Er riß sie, sie ihn an sich; sie verschmolzen ineinander. Die Kleidung auf beiden Seiten, die dabei störte, hatte sich rasch verflüchtigt, gelöst, und Fritz liebte seine Anne mit einer Leidenschaft, als hätte es eine Ingrid Rehbein noch nie, geschweige denn erst vor einer Stunde,
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