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Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander
Autoren: Kathryn Harvey
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zurück.«
    »Gehen wir’s also an«, sagte Abby und wandte sich in Richtung Ferienanlage.
    Vanessa machte keine Anstalten, mitzukommen. »Wann verrätst du ihnen den
wahren
Grund, warum sie hier sind?« Sie meinte damit die beiden »Gewinnerinnen des Preisausschreibens«.
    »Morgen«, antwortete Abby. »Ich werde mit Sissy und Coco zu Mittag essen. Finde du raus, was es mit Ophelia Kaplan auf sich hat. Warum sie es ablehnt, den Preis anzunehmen.«
    Sie zog sich wieder in den Schutz von Farnen und Palmwedeln und blühendem weißen Oleander zurück und grübelte darüber nach, warum Dr.Ophelia Kaplan von einem Gratisurlaub Abstand nahm. Abby musste sich unbedingt etwas einfallen lassen, um sie herzulocken, damit alle drei zur selben Zeit in The Grove waren: Sissy, Coco und Ophelia – drei Frauen aus verschiedenen Städten und mit drei unterschiedlichen Lebensläufen; die eine ein Single, die andere verheiratet, die dritte verlobt; eine jüdischen Glaubens, eine Katholikin, eine nach eigenem Bekunden Atheistin. Eine Universitätsprofessorin, eine, die wegen ihrer übersinnlichen Wahrnehmungen der Polizei als Hellseherin diente, und eine Familienglucke. Drei Frauen, die, wenn sie einander kennen lernten, zu dem Schluss kämen, dass sie über keinerlei Gemeinsamkeiten verfügten – bis sich herausstellen würde, dass sie alle am selben Tag zur Welt gekommen waren, vor dreiunddreißig Jahren. Abby dachte an die Aktenordner in ihrem Büro, in denen Unterlagen über drei Jahrzehnte hinweg abgeheftet waren, zusammen mit per Teleobjektiv aufgenommenen Fotos. Von Sissy Whitboro, Coco McCarthy und Ophelia Kaplan, bei ihren alltäglichen Verrichtungen und ohne zu ahnen, dass sie fotografiert wurden.
     
    Als Abby an diese drei Gesichter auf den Fotos dachte, in deren Zügen sie immer wieder nach Hinweisen, besonderen Merkmalen, Übereinstimmungen mit ihren eigenen forschte, fragte sie sich im Stillen:
Welche von euch ist meine Tochter?

MONTAG
    Kapitel 3
    Der attraktive Kellner, der unter Sissy Whitboros Blicken den Teewagen mit dem Frühstück auf ihren privaten Patio rollte, hatte einen olivfarbenen Teint und trug hautenge Shorts. Als er ihr zuzwinkerte, schlug ihr Herz schneller.
    Er schien keinen Tag älter als zwanzig zu sein, und sie hatte die dreißig überschritten!
    Dennoch fühlte sich Sissy geschmeichelt und versuchte ihm, ehe er ging, ein Trinkgeld zuzustecken. Trinkgelder seien in The Grove nicht gestattet, winkte er ab. Sie kehrte zum Teewagen zurück, genoss die Morgensonne, die frische Luft, die Pflanzen und Blumen in ihrem Garten. Sie freute sich, den Preis angenommen zu haben, auch wenn sie nicht wusste, worum es bei dem Preisausschreiben gegangen war. Als sie ihren Toast dünn mit Butter bestrich, beschlichen sie Gewissensbisse. Ed mit den Kindern zu Hause, und sie in dieser himmlischen Ruhe. Die zu genießen stand ihr eigentlich gar nicht zu, aber sie tat ihr dennoch wohl. Einmal mehr dachte sie daran, dass ihr in letzter Zeit etwas in ihrem Leben fehlte. Was das war, vermochte sie nicht zu sagen, und sie hätte es auch niemals zugegeben, weil ihr das wie ein Verrat an Ed vorgekommen wäre. Den sie über alles liebte.
    Als sie an ihrem Orangensaft nippte, hörte sie etwas, das wie ein Stöhnen klang.
    Sie schaute sich um. Jemand schien krank oder verletzt zu sein. Sissy trat hinaus in ihren Garten, lauschte, bis sie lokalisiert
hatte, woher das Stöhnen kam: von jenseits der Mauer. Die zu hoch war, um einen Blick auf die andere Seite zu werfen. Dann entdeckte sie das Holzgatter. Es war auf ihrer Seite verriegelt. Sie schob die Sperre zurück, stürzte ins Freie.
    Sie brauchte eine Weile, bis sie begriff, was sie sah. Ein Pärchen auf einer Liege, splitternackt, die Beine der Frau zum Kopf hin angehoben, die Arme ausgestreckt, der bleiche Hintern des Mannes in pumpender Auf- und Abwärtsbewegung.
    »Oh!«, entfuhr es Sissy. Der Mann blickte auf, grinste, ohne seinen Rhythmus zu unterbrechen. Seine Partnerin öffnete nicht einmal die Augen.
    »Verzeihung!«, murmelte Sissy, zog sich zurück und verschloss das Gatter. Sie musste erst einmal um Luft ringen, weshalb sie am Gatter verharrte, von wo aus sie die Liege weiterhin ächzen hörte. Ein Geräusch, dem sie wie gebannt lauschte und dem sie sich nicht entziehen konnte.
    Die Frau stöhnte erneut auf und der Rhythmus wurde schneller. Jetzt fing sie an, ihren Partner lauthals anzutreiben, schneller, schneller, derweil Sissy mit angehaltenem Atem zuhörte und,
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