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Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Titel: Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Autoren: Katie Fforde
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kein Wort zu ihr. Es kam May so vor, als begrüße er Harriet viel herzlicher.
    Das ist nur deine eigene Schuld, sagte sie sich. Du hast seine Postkarten und damit auch ihn verschmäht. Es gab eine Zeit, da wollte er dich, aber du hast die falschen Signale gesandt. Es ist schade, aber jetzt ist es zu spät.
    »Wir können jetzt gehen«, sagte Harriet. »Komm, ich will mal nachsehen, was Matthew anstellt.«
    Der Lärmpegel war schon jetzt beachtlich. Angehörige unterschiedlicher Familienzweige, die sich nur bei Gelegenheiten wie dieser sahen, schrien und begrüßten einander lautstark. »Bist du aber groß geworden«-Ausrufe und Küsse regneten wie Konfetti herab. Lange Unterhaltungen über entfernte Verwandte endeten mit der Entdeckung, daß man über zwei unterschiedliche Vettern gleichen Namens sprach.
    May stand unentschlossen am Rand einer Gruppe. Halb wünschte sie, Hugh käme und machte sie ausfindig, halb wollte sie ihm aus dem Wege gehen. Sie kam sich selbst so fremd vor, das Kleid, die Umgebung, sein unerwartetes Erscheinen erschütterten die Grundfesten ihrer Persönlichkeit. Sie sehnte sich nach ihren Latzhosen und ihrer Baustelle, wollte irgendwo sein, wo sie wußte, wer sie war, was sie tat und warum zur Hölle sie es tat.
    »Hier, nehmen Sie eins, Liebes. Sie sind ein bißchen blaß um die Nase.« Eine freundliche, mütterliche Kellnerin hielt ihr eine Platte mit Kanapees hin. »Sie müssen bei Kräften bleiben fürs Tanzen.«
    Tanzen! May hatte vergessen, daß sie noch weitere Qualen erwarteten. Sie hatte keinerlei Rhythmusgefühl, wackelige Knöchel und konnte unter Streß nicht zwischen ihrem rechten und ihrem linken Fuß unterscheiden. Nur wenn sie sehr betrunken war, brachte sie einen Conga zustande.
    »Ich glaube, was ich wirklich brauche, ist etwas zu trinken«, sagte sie.
    Die Kellnerin nickte. »Bill! Komm mal hier rüber! Hier stirbt jemand vor Durst.«
    Sally behielt recht mit ihrer Meinung über das Clog Dancing. May ertappte sich dabei, daß sie lächelte und den Takt mit dem Fuß mitklopfte, mitgerissen von der Ausgelassenheit und dem akrobatischen Geschick der Tänzer.
    Doch als die Truppe schließlich jede weitere Zugabe verweigerte und den Flüssigkeitsverlust mit literweise Cider wettgemacht hatte, begann der Scheunenball. May fand sich augenblicklich umzingelt.
    Alle männlichen Tänzer der Steel Toe Caps, die das Appalachian Clog Dancing vorgeführt hatten, schienen zu glauben, May sei ebenso wie Sally Schauspielerin.
    Sie gab sich alle Mühe, sie eines Besseren zu belehren. Ein scharfes: »Sehe ich vielleicht aus wie eine Schauspielerin«, hätte normalerweise gereicht, aber in dieser Verkleidung, die sie wie die Hauptfigur aus »Schneewittchen und die sieben Zwerge« aussehen ließ, war das weniger wirkungsvoll.
    Ein Arm vom Umfang einer jungen Eiche und der Farbe von Mahagoni hob sie hoch und schleppte sie auf die Tanzfläche.
    »Weißt du, was du machen mußt?« fragte der junge Riese, dem der Arm gehörte.
    »Nein!«
    »Ich zeige es dir!«
    »Sei behutsam mit mir!« bettelte sie. Aber der Mann, nach den Proportionen zu urteilen vermutlich ein Hufschmied, hörte sie nicht.
    Die nächsten zwanzig Minuten mußte May tatenlos ertragen, daß sie von Arm zu Arm weitergereicht wurde wie ein Eimer Wasser in einer Löschkette. Aber wenigstens würde Hugh sie in diesem Gewühl niemals finden. Falls er sie überhaupt suchte.
    Als die Musiker endlich eine Pause einlegten, erkannte May ihre Chance und ergriff sie. Ehe irgendwer sie zur Bar schleifen konnte, löste sie die Kordel, die zwei der Zeltbahnen zusammenhielt, und schlüpfte ins Freie.
    Geißblattduft wehte von der Hecke zu ihr herüber. Es war ein wunderbar reines, natürliches Aroma nach der Geruchsmischung aus Schweiß und Old Spice. Jetzt wieder hineinzugehen wäre, als müsse man nach dem Duschen wieder in die schmutzige Unterwäsche steigen. Die Stille schien sie mit offenen Armen willkommen zu heißen. Hoch über der lärmenden Hochzeitsgesellschaft sang eine Lerche.
    Auf der anderen Seite des Wirtschaftswegs lag ein Feld, und dahinter erkannte sie durch die Lücken in der Hecke einen Wald. Niemand wird merken, wenn ich mich verdrücke, sagte sie sich. Ich kletter’ einfach über den Zaun und geh’ ein Weilchen in den Wald. Sie raffte die Röcke und stieg hinüber.
    Sie erkannte ihren Fehler, noch bevor sie ein halbes Dutzend Schritte gemacht hatte. Das Feld lag tief und war jetzt, nach einem nassen Frühjahr, praktisch ein
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