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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme
Autoren: Jane Feather
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Umhang gewickelte Gestalt hinunter. Ihr abschätzender Blick ruhte einen Moment auf der wirren Fülle flammendroter Haare, dann musterte sie die cremige Blässe der Haut, die schwungvolle Form der vollen, leicht geöffneten Lippen, die Ansammlung von Sommersprossen auf dem Rücken der geraden, kräftigen Nase.
    Nicht direkt hübsch, entschied Mistress Dennison mit Kennerblick. Für wahre Schönheit waren ihre Züge zu stark ausgeprägt. Aber ihr Haar konnte man als prachtvoll bezeichnen. Und es gab viele Gentlemen, die eine Erscheinung bevorzugten, die ein wenig aus dem Rahmen fiel. Aber was um alles in der Welt hatte sie dazu bewogen, Männerkleidung anzuziehen? Stimmte etwas nicht? Sie
musste
etwas zu verbergen haben, daran bestand kein Zweifel. Wenn sie sich indessen auch noch als Jungfrau entpuppen sollte…
    Elizabeths schöne Augen verengten sich abrupt zu Schlitzen. Eine Jungfrau, die etwas zu verbergen hatte…
    Sie beugte sich über Juliana und rüttelte sie leicht an der Schulter. »Meine Liebe, es ist Zeit aufzuwachen.«
    Juliana tauchte langsam aus den Tiefen eines traumlosen Schlafes empor. Sie öffnete die Augen und blickte blinzelnd in das Gesicht, das sich über sie beugte. Ein hübsches Gesicht: lächelnde rote Lippen, freundliche blaue Augen. Es war jedoch kein Gesicht, das sie kannte, und einen Moment lang fühlte sie sich völlig verwirrt und orientierungslos.
    Die Frau berührte sie erneut an der Schulter. »Ich bin Mistress Dennison, meine Liebe.«
    Die Erinnerung kehrte mit einem Schlag zurück. Juliana setzte sich auf und schwang ihre Beine über den Rand der Bank. Neben diesem strahlenden Geschöpf in raschelnder Seide, auf dessen dunkelbraunen Locken eine zierliche Spitzenkappe thronte, kam sie sich furchtbar linkisch vor, nichts als schmutzige Ellenbogen und Knie. Sie zog ihre Füße unter die Bank in der Hoffnung, daß sie dort keinen Schaden anrichten könnten, und machte sich hastig daran, ihr Haar zu bändigen und mit Nadeln festzustecken.
    »Der Wirt hier schien der Annahme, daß Sie möglicherweise ein Stubenmädchen suchen, Ma'am«, begann sie.
    »Meine Liebe, verzeihen Sie mir, aber Sie sprechen nicht wie jemand, der Dienstbotenarbeit gewöhnt ist«, erklärte Mistress Dennison ohne lange Umstände, als sie neben Juliana Platz nahm. »Ich habe gehört, Sie sind mit der Postkutsche aus York angereist.«
    Juliana nickte zustimmend, doch Elizabeths Blick wurde noch eine Spur schärfer. Sie besaß zuviel Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, um sich von einer unerfahrenen Lügnerin täuschen zu lassen. Außerdem schwang in der Sprechweise des Mädchens keinerlei Yorkshire-Dialekt mit.
    »Wo sind Sie zu Hause?« wollte sie wissen.
    Juliana schob die letzte Nadel in ihr Haar zurück. »Müssen Sie das unbedingt wissen, Ma'am?«
    Elizabeth beugte sich vor und legte ihre behandschuhte Hand sanft auf Julianas. »Nicht, wenn Sie es mir nicht sagen möchten, Kind. Aber vielleicht verraten Sie mir Ihren Namen und Ihr Alter?«
    »Juliana Ri… Beresford«, korrigierte sie sich hastig. George und seine Häscher würden Juliana Ridge suchen. »Ich bin gerade siebzehn geworden, Ma'am.«
    Die Dame nickte. Der kleine Versprecher war ihr nicht entgangen. »Nun, wie wär's, wenn Sie gleich mit mir kommen, meine Liebe? Sie brauchen Ruhe und Stärkung und neue Kleider.« Ihre Röcke raschelten und sie lächelte einladend.
    »Aber… aber welche Art von Arbeit müßte ich denn tun, Madam?« Juliana fühlte sich zunehmend verwirrt. Es ging alles so schrecklich schnell.
    »Darüber werden wir uns unterhalten, wenn Sie sich ein wenig erfrischt haben, Kind.« Mistress Dennison richtete sich auf und strich über ihr schimmerndes Gewand. »Kommen Sie. Meine Kutsche wartet draußen, und es ist nur eine kurze Fahrt bis zu meinem Haus.«
    Julianas bescheidener Geldvorrat war bis auf einen einzigen Sovereign zusammengeschrumpft. Die Summe würde vielleicht gerade noch reichen, tim Unterkunft und Verpflegung für einen oder höchstens zwei Tage bezahlen zu können. Aber sie war hoffnungslos unerfahren in dieser erschreckenden Großstadt, und daher wollte sie nicht den Schutz und die Gastfreundschaft dieser charmanten Frau mit den freundlichen Augen ablehnen. So lächelte sie zustimmend und folgte ihrer Wohltäterin aus dem Gasthof hinaus und in das Innere einer leichten Stadtkutsche, die von zwei kräftigen Apfelschimmeln gezogen wurde.
    »Nun, meine Liebe«, hub Mistress Dennison vertraulich an, »warum erzählen
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