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Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer

Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer

Titel: Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer
Autoren: Brunnen Verlag , Lynn Vincent
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zum Gedenken an die zahllosen Seeleute, die hier ihr nasses Grab fanden.
    Ich verbrachte die ganze Nacht am Telefon. Jeff und Scott stellten die Ferndiagnose und unter ihrer Anleitung wechselte ich Steckverbindungen und verkabelte Bauteile hin und her, um die unterschiedlichen Konfigurationen zu testen. Ich hantierte mit dünnen bunten Drähtchen und winzigen Steckverbindungen. Meistens, wenn ich gerade dabei war, einen Draht in ein Loch einzufädeln, schwankte das Boot plötzlich heftig und ich musste von vorn anfangen.
    Der Stauraum im Heck, wo sich das Autopilot-Equipment befand, war in zwei Kämmerchen unterteilt. Wenn ich dort arbeitete, musste ich in dem engen Raum auf dem Rücken im eiskalten Bilgenwasser liegen, die Taschenlampe zwischen den Zähnen, und mit einem Minischraubenzieher an der „Brain Box“, dem Hauptrechner, herumschrauben. Dabei musste ich ständig zwischen „Brain Box“ und Kabine hin und her laufen, wo der Autopilot-Antrieb lag. Einmal legte ich den kleinen Schraubenzieher in einer Nische in der Kabine ab, merkte mir, wo er war, doch als ich auf dem Rückweg ins Heck war, begann die
Wild Eyes
heftig zu rollen, und als ich wiederkam, war der Schraubenzieher verschwunden.
    Alle anderen Schraubenzieher in meiner Werkzeugkiste waren zu groß für diese Feinarbeit. Ich kramte herum, bis ich meinen Nagelknipser fand (so einer, an dem eine kleine Feile dran ist), der musste es tun.
    Immer, wenn sich Frust und Hilflosigkeit breitmachen wollten, schob ich sie entschieden beiseite.
    Du kannst die Situation nicht ändern
, sagte ich mir.
Du hast zwei Möglichkeiten: das Problem angehen oder von Hand das nächste Land ansteuern
.
    Und die zweite Möglichkeit kam für mich nicht infrage.
    Jeff und Scott waren erstaunt, wie ruhig und gelassen Abby unter Stress reagierte. Unermüdlich machte sie weiter, obwohl sie vom Seegang in der Kabine hin und her geworfen wurde, und setzte die – neuen und alten – Ratschläge der beiden in die Tat um. Sie widersprach nicht und sie klagte nicht („Aber das haben wir doch schon probiert!“), auch wenn sie dieselben Handgriffe hundert Mal ausführen musste.
    Wenn sie frustriert war, so ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Während der ganzen Zeit am Telefon klang sie sachlich und gefasst.
    Jeff mit seiner Erfahrung als Weltumsegler wusste, dass die
Wild Eyes
ohne Selbststeueranlage unkontrolliert in der rauen See driftete und bockte, sich im Kreis drehte und mit Bug und Heck eintauchte. Und dass Abby die meiste Zeit auf dem Boden im kalten Bilgenwasser saß oder lag und dass ihr das Kondenswasser unter Deck in die Augen tropfte.
    „Ich musste die ganze Zeit daran denken, unter welchen Bedingungen Abby an Bord arbeitete“, erzählte er später. „Aber am Telefon hat man ihr nichts davon angemerkt. Ihre Stimme klang völlig ruhig und normal.“
    Jeff war überzeugt, fünfundsiebzig Prozent aller alten, erfahrenen Segler, die er kannte, hätten es nicht geschafft, mithilfe einer solchen Ferndiagnose das Problem in den Griff zu kriegen. Hinzu kam, dass sich das Ganze zu einem zehnstündigen Reparaturmarathon ausweitete, was niemand voraussehen konnte.
    Nach bald fünf Stunden Problemlösung war die
Wild Eyes
gefährlich nah an die felsige, der Südspitze Chiles vorgelagerten Inselgruppe gedriftet. Die schroffe Küste der ersten Insel war nur noch etwa dreißig Kilometer entfernt.
    Jeff und Scott machten sich langsam ernste Sorgen. Jeff, der über Funk bereits einige Seenotrettungen durchgeführt hatte, wusste: Es kam darauf an, dass sie selbst ruhig blieben. Abby durfte jetzt auf keinen Fall nervös werden.
    „Abby“, sagte er ruhig, „geh mal zum Kartenplotter und check deine Position.“
    Kurze Zeit später gab sie ihm die Koordinaten der Längen- und Breitengrade durch.
    In Kalifornien verglich Jeff ihre Daten und überwachte Abbys Position sorgfältig. Der Wind kam aus westlicher Richtung und trieb das Boot genau auf die Inseln zu, während sie unter Deck mit dem Autopiloten kämpfte. Wenn die
Wild Eyes
an dieser Küste strandete, dann würde sie nicht sanft mit dem Kiel auf dem Sand auflaufen. Dann würde sie an den Felsen restlos zerschmettert.
    Ich hörte, wie der Wind durchs Rigg pfiff, an Wanten und Stagen rüttelte und an den Segeln zerrte. Manchmal, wenn ich unter Deck vor- und zurückkroch, schaukelte mein Boot wie wild von Dollbord zu Dollbord und warf mich gegen das Schott. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Male ich meine Taschenlampe
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