Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Titel: Wieviele Farben hat die Sehnsucht
Autoren: Körner
Vom Netzwerk:
haben. Was kümmert mich der Gesang.“
    Darauf schwamm sie im Teich, und immer, wenn der Gesang in ihr eine kleine Sehnsucht weckte, tauchte sie unter und hörte nichts mehr.
    Der Sänger sang, bis die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, dann war sein Hals so ausgetrocknet und rauh wie die alte Wüstenstraße der Beduinen, die faul neben ihren Kamelen lagen und dösten. Sie schienen den Gesang nicht einmal zu hören.
    Der Herrscher war traurig und enttäuscht. Wieder war sein Plan fehlgeschlagen. Doch die Berater munterten ihn auf: „Morgen früh wird ein Harfenspieler sein Instrument erklingen lassen, und er kann spielen, daß sogar der Wind ehrfurchtsvoll verstummt.“ Das beruhigte den Herrscher und er fand den Schlaf des Gerechten auf seinen weichen Zobel- und Eisbärfellen.
    Am Morgen schien die Sonne schneller als gewöhnlich über den Horizont zu steigen. Der Harfenspieler hatte schon begonnen, und vielleicht wollte die Sonne keinen Ton dieser wunderbaren Musik versäumen. Wieder weinten die Menschen vor Rührung und benetzten mit ihren Tränen den Wüstensand. Wieder hörte die Tochter des Herrschers die Musik, bekam ein wenig Sehnsucht, spielte dann aber mit einigen jungen Hunden im Garten, und das Bellen der Hunde übertönte die Musik der Harfe. Die Beduinen saßen neben ihren Kamelen und schliefen. Die Kamele fraßen Disteln, und ihnen schien die Musik zu gefallen. Der Musiker spielte, bis die Sonne einen langen Schatten warf — seine Finger waren aufgerissen und der Schweiß brannte in den Wunden.
    Der mächtige Herrscher war der Verzweiflung nahe: „Wie soll ich denn meine Tochter noch überzeugen können? Es nützt alles nichts! Sie wird ewig in ihrer Oase hocken und dort verkümmern!“ Die Berater redeten auf ihn ein — das machen sie immer, wenn sie nicht weiter wissen — und sagten: „Warte auf den nächsten Morgen. Wir haben einen Maler gefunden, der Bilder an die Wüstenfelsen malt, die so herrlich sind, daß sich sogar die Natur ihrer Unzulänglichkeit schämt.“ Dies beruhigte den Herrscher, und er ging in sein Zelt aus Seide und Damast, legte sich auf die Zobel- und Eisbärfelle und rechnete in Gedanken aus, was ihn dies hier alles kosten würde. Da er aber ein sehr mächtiger Herrscher war, bereitete ihm dies keine allzu großen Sorgen, und er schlief zufrieden ein.
    Am Morgen mischte der Maler sorgfältig seine Farben, prüfte Pinsel und Pinselchen und wusch dann mit klarem Quellwasser die Felsen ab. Als er dabei war, die ersten Felsen zu bemalen, hätte sich die Sonne am liebsten hinter einigen dicken Regenwolken versteckt. Aber wo sollte sie diese in der Wüste herbekommen? So beeilte sie sich, um möglichst schnell wieder hinter dem Horizont verschwinden zu können. Sie hatte immer geglaubt, daß die Menschen eben nur die Natur kopieren, aber was dieser Maler auf die Felsen zeichnete, ließ sie und die gesamte Natur vor Neid erblassen. Die Menschen vor der kleinen Oase standen wie erstarrt und sahen nur noch diese Bilder. Sie vergaßen Essen und Trinken und konnten den Blick nicht mehr von der unbeschreiblichen Farbenpracht lösen.
    In der Dämmerung, die Sonne hatte sich wirklich sehr beeilt, trat plötzlich die Prinzessin unter den Bäumen der kleinen Oase hervor, um sich diese Bilder näher zu betrachten. Doch in der Wüste kommt die Nacht sehr schnell, wenn die Sonne hinter dem Rand der Welt verschwunden ist, und so kam es, daß die Tochter des Herrschers die Bilder nicht mehr sehen konnte. Sie kehrte wieder zurück in ihre Oase. Dort entzündete sie überall kleine Lichter. Und als sie ihr Reich so erleuchtet sah, dachte sie bei sich: „Kein Bild der Welt kann so schön sein wie meine kleine Oase hier. Weshalb sollte ich also Weggehen?“
    Die Beduinen waren inzwischen dabei, ihre Zelte abzubrechen, die Wasserschläuche zu füllen und ihre Kamele zu striegeln. Ihnen war die ganze Sache langweilig geworden, und sie wollten deshalb weiterziehen.
    Als die Prinzessin am Abend jedoch unter den Bäumen hervorgetreten war, hatte einer der Beduinen seinen Sattel wieder gelöst und zu den anderen gesagt: „Ich bleibe hier. Ich werde die Tochter des Herrschers entführen und euch dann folgen.“
    Zuerst wurde er ausgelacht, denn seine Freunde dachten an einen Scherz. Doch als sie erkannten, daß der junge Beduine es offenbar ernst meinte, setzten sie sich zu ihm in den Sand. „Hör mal, das kannst du doch nicht machen“, sagten sie, „du weißt genau, was mit unserem Volk
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher