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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman
Autoren: Kerstin Cantz
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zügig in höherem Grade und größerem Umfang ein. Aus den meisten Körperöffnungen, besonders aus Mund und Nase, war dünnes, wässriges Blut ausgetreten, das bald, so wie der ganze Tote, einen kadaverösen Geruch annahm.
    In der Bauchhöhle fanden sich geschlossene Abszesse, in den Lungen und den Säcken des Brustfells milchige Absonderungen, die den flockigen Flüssigkeiten in den Bauchräumen der Kindbettfieberkranken ähnelten.
    Heuser hatte dies geahnt, und doch blieb Hähnlein seine letzte Botschaft ein Rätsel. Es war nicht das erste Mal, dass er einen ihm bekannten Menschen obduzierte, doch Heuser war der Erste, der ihn darum gebeten hatte. Seltsamerweise machte es einen Unterschied.
    Auch der Prosektor arbeitete in nahezu andächtiger Konzentration. Das Ausschöpfen der Bauchhöhle nahm er vor wie eine heilige Handlung, und die Bitte der jungen Heuser, dies übernehmen zu wollen, hatte er regungslos übergangen, womit Hähnlein sehr einverstanden war.
    Wie gern hätte er sie davon abgebracht, bei der Leichenöffnung ihres Vaters anwesend zu sein, doch daran war nicht zu denken gewesen. In regelmäßigen Abständen, so etwa wenn das Rosmarinöl seine inneren Nasenwände reizte, blickte er zu der jungen Heuser, die ihm gegenüber auf der anderen Seite des Tisches stand, bleich wie das Leinen ihres Mundschutzes, die Öllampe ruhig auf das Geschehen unter seinen Händen gerichtet.

    Der Prosektor reichte ihm eben die Nadel an, damit er die Bauchhäute wieder schließen konnte, als ein heftiges Klopfen sie allesamt aufschreckte. (Wie oft er noch später dem glücklichen Zufall dankte, dass er sich nicht gestochen hatte!)
    Zwei Herren mit Zylinderhüten, die Novak, begleitet von einem Polizeisergeanten in die Sezierkammer folgten, brachten eiligst ihre Schnupftücher aus den Rocktaschen hervor und drückten sie sich vor Mund und Nase.
    Hähnlein hörte einen von ihnen gedämpft sagen, dass sie wegen der Hebamme Helene Heuser kamen, und aus den Augenwinkeln konnte er bemerken, wie der Prosektor ihr geistesgegenwärtig das Öllicht abnahm, als sie am ganzen Leib zu zittern begann.

    Es war Malvine nicht leichtgefallen, Hersilie in ihrem eigenen Haus des Zimmers zu verweisen, doch überraschend hatte sie die Unterstützung des Mädchens erhalten, deren stoische Ruhe, die sie bislang fälschlich als Verstocktheit empfunden hatte, sich als sehr hilfreich erwies, denn Eveline war es gelungen, Hersilie mit einem etwas stärker als sonst zubereiteten Sherrypunsch in eine tröstliche Mittagsruhe zu entsenden.
    Die Nachricht von Helenes Verhaftung hatte sie beim Frühstück erreicht und gemeinsam aus der Fassung gebracht. Malvine, deren fester Vorsatz es war, letzte Spuren von Unschuld zu sichern, die es bei ihrem Patenkind zu entdecken galt, ein für alle Mal, bevor sie heiraten würde - denn dass sie dies tun würde, glaubte Malvine immer noch -, musste umdisponieren.

    Dass ihr Schützling zur Vollwaise geworden war und wie man ihr die Schwester entrissen hatte, erschwerte gewisse moralinsaure Vorhaltungen erheblich. Schlussendlich war Malvine selbst zutiefst angegriffen, doch wenn andere um sie herum die Nerven verloren, blieben die ihren unerschütterlich.
    Sie hatte dem Kaffee einen kräftigen Schluck Antigua-Rum hinzugegeben, und während sie, an Elsas Bett sitzend, auf seine Wirkung wartete - statt, wie es ihr lieber gewesen wäre, für einen Moment auf der Chaiselongue die Beine auszustrecken, da sich erste Kopfschmerzen bemerkbar machten -, verweigerte das Kind weiterhin jegliche Medizin, Malvines Mischung ebenso wie die Hoffmann’schen Tropfen. Schluchzend lag sie im Bett vergraben und erging sich in sybillinischen Selbstanklagen, die vor allem in einer Erkenntnis mündeten, nämlich dass ihre, Elsas, persönliche Lage eine ganz und gar verzweifelte war.
    Mit Erleichterung entnahm Malvine den wirr hervorgestoßenen Sätzen, dass die Affäre mit dem Prinzen ein Ende genommen hatte. Weniger interessierte sie, was Elsa sich hinsichtlich einer letzten Begegnung mit ihm meinte vorwerfen zu müssen, warum sie ihn wie belogen und welchem furchtbaren Verdacht sie ihn angeblich unterworfen hatte. Lieber hätte sie gewusst, wie es sich indessen mit Moritz von Vredow verhielt, doch da er unerwähnt geblieben war, vermied sie es, nach ihm zu fragen.
    »Du musst ihn und alles, was dich, in welcher Weise auch immer, mit ihm verbunden hat, aus deinen Gedanken verbannen, hörst du, Elsa, denn diese haben sich derzeit
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