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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben
Autoren: Sandra Maischenberger
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auflösen wollen. Das ist ein abenteuerlicher und außerordentlich gefährlicher Gedanke. Und soweit ich das verfolgen kann, sehen das auch diejenigen so, die jetzt die Verantwortung tragen.
    Â 
    In diesem Zusammenhang zitiere ich Jürgen Habermas, der der politischen Klasse – und die ist es ja, die das Heft in die Hand nehmen müsste – viel zu wenig Gestaltungskraft beimisst. Seiner Analyse zufolge sieht er die europäischen Regierungen eher als Getriebene an, ohne ein Gestaltungsziel.
    Â 
    Darf ich vorweg eine kleine Fußnote anbringen?
    Â 
    Schon jetzt?

    Â 
    Der Begriff »politische Klasse« stört mich. Er unterstellt, dass diejenigen, die in der Politik Verantwortung tragen – übrigens von Menschen dazu gewählt –, dass die völlig abgesondert sind und eine Klasse für sich bilden. Ganz so, wie man früher zwischen der Klasse der Arbeiter und der Klasse der Kapitaleigentümer unterschieden hat. Das ist bei aller berechtigter Kritik eine unzulässige Übertreibung. Deswegen habe ich den Finger gehoben.
    Â 
    Welchen Begriff nehmen Sie denn? Sprechen Sie von Regierungen?
    Â 
    Ich spreche von Verantwortlichen. Verantwortung tragen Menschen, die auf die Gestaltung des Gemeinwesens Einfluss haben – und das sind nicht nur Politiker. Mächtige Unternehmer, aber auch Verleger, Fernsehintendanten oder Redakteure haben mitunter mehr Macht als manche Politiker. Aus diesem Grund habe ich nicht nur etwas gegen das Wort »Klasse«, sondern auch gegen das Adjektiv »politisch«. Ich spreche deshalb lieber von den für das Gemeinwesen Verantwortlichen. Unter ihnen kann und muss man natürlich die Politiker besonders betrachten.
    Jetzt aber zu Ihrer Frage. Habermas hat da sehr bedenkenswerte Gedanken geäußert. Ich habe ihn eher so verstanden, dass es in der Demokratisierung der Europäischen Union einen Rückstand gibt, insbesondere dass es noch immer an einem gemeinsamen Bild öffentlicher Meinung fehlt. Und da hat er völlig recht. Was erfahren oder lesen wir denn über die durchaus beachtlichen und manchmal schwierigen Verhandlungen des Europäischen Parlaments? Die gemeinsame öffentliche Meinung samt ihren Diskussionen und Konfrontationen würde auch durch eine zusätzliche europäische Liste neben den nationalen Listen bei den Europawahlen gefördert.
    Getrieben sind die Regierungen gegenwärtig von der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. Aber da haben sie bisher insgesamt nicht so unvernünftig reagiert, wie häufig behauptet wird. Manches steht allerdings noch aus. So beispielsweise eine wirklich gerechte Beteiligung der Gläubiger an der Finanzierung der Schutzmaßnahmen, eine Finanztransaktionssteuer, eine stärkere Kontrolle der Rating-Agenturen und eine härtere Verschuldungsgrenze.
Natürlich dürfen wir darüber das Ziel einer weiteren Integration Europas und eines einheitlicheren Auftretens nach außen nicht aus den Augen verlieren.
    Â 
    Können Sie den Menschen die Angst vor einer Inflation nehmen?
    Â 
    Ich würde mich übernehmen, wenn ich behaupte, ich wäre in der Lage, ihnen diese Angst zu nehmen. Aber die ermutigenden Zeichen sind stärker als die beängstigenden. Und die Europäische Zentralbank ist gerade in diesem Zusammenhang kaum zu kritisieren.
    Â 
    Die Bürger haben den Eindruck, dass die Verursacher der Krise immer noch nicht ordentlich zur Bewältigung herangezogen worden sind. Sie gehen davon aus, dass die Gewinne weiter privatisiert bleiben, die Verluste und die Risiken jedoch sozialisiert werden. Können Sie ihnen den Eindruck nehmen?
    Â 
    Nein. Alle Anstrengungen, die in diese Richtung unternommen wurden und werden, sind noch ungenügend. Da fange ich mal bei den Managern selbst an. Dass Leute, die in erster Linie an der Krise beteiligt waren oder sie sogar verursacht haben, irrsinnige Abfindungen erhalten oder weiterhin extrem hohe Vergütungen bekommen – das ist ein Punkt, den ich heftig kritisiere. Das hat mit Leistung nichts mehr zu tun, das ist offenbar ein Ansehenswettbewerb in dieser – jetzt verwende ich das Wort bewusst – Klasse. Derjenige in dieser Klasse, der die meisten Millionen erhält, kann die Brust am breitesten machen. Da würde ich viel stärker eingreifen.
    Â 
    Wie denn? Gehälter gesetzlich begrenzen?
    Â 
    Indem man einerseits auf das Instrument einer Höchstbegrenzung
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