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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Autoren: Tom Chatfield
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führen, die sich daraus ergeben, desto besser. Die der digitalen Kultur zugrundeliegenden offenen Strukturen lassen sich mit bestehenden politischen und wirtschaftlichen Strukturen oft nur schwer in Einklang bringen – die besten Resultate für den Einzelnen und die Welt können nur aus Verhandlungen entstehen, bei denen alle Beteiligten mit gleichen Mitteln und gleichem Wissen ihre Standpunkte verteidigen können.
    Was jedoch vielleicht mit Blick auf die globale Perspektive am wichtigsten erscheint, ist, dass die Früchte dieses Prozesses nicht nur vorrangig von den Reichen oder der momentanen Elite geerntet werden können, sondern von jenen Völkern und Nationen, die historisch nicht an der Spitze technisch-sozialer Entwicklung standen. Wie die jüngsten Unruhen im Nahen Osten und in Nordafrika zeigen, sind diejenigen, welche die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters am leidenschaftlichsten wahrnehmen, nicht dessen Pioniere, sondern diejenigen, die vom Überspringen einer kompletten Technologiegeneration den größten Nutzen haben.
    Nehmen wir Indien, ein Land, in dem es kein Äquivalent zum amerikanischen Sozialversicherungssystem oder der British National Insurance gibt, wo von einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden nur 33 Millionen Menschen Einkommensteuer zahlen und nur 60 Millionen einen Pass besitzen. Wie die Zeitschrift New Yorker im Oktober 2011 berichtete, »sind Hunderte Millionen Inder für den Staat kaum sichtbar … Sie können nicht einfach ein Bankkonto eröffnen oder SIM-Karten für ihr Handy kaufen, geschweige denn, sich die staatlichen Leistungen sichern, die ihnen eigentlich zustehen.«
    Die indische Regierung möchte dies durch eine massive digitale Initiative ändern, deren Ziel es ist, für jede in Indien lebende Person eine beliebig gewählte, einzigartige zwölfstellige Zahl zu vergeben, die an biometrische Daten gekoppelt ist: ein Foto, Fingerabdrücke und Augenscans. An der Spitze dieser Initiative steht ein gewisser Nandan Nilekani, Gründer des indischen Softwareunternehmens Infosys (1981) mit einem heutigen Marktwert von beinahe 30 Milliarden Dollar. Nilekanis Initiative wird, milde ausgedrückt, landesweit kontrovers diskutiert. Dabei geht es um alle möglichen Sorgen von der Finanzierung und Glaubwürdigkeit bis hin zu persönlicher Sicherheit, Durchführbarkeit und der Nähe des Programms zu anderen nationalen Identifizierungssystemen.
    Obwohl das Programm bis zum März 2012 offiziell bereits 200 Millionen Menschen erfasst haben soll, bleibt während der Arbeit an diesem Buch seine langfristige Ausdehnung doch in der Schwebe. Es könnte Hunderten Millionen von Indern eine neue Beziehung zu ihrem Staat ermöglichen, welche auf dem Grundprinzip einer verifizierten Identität und der sich daraus ergebenden sozialen Beteiligung basiert. Daneben jedoch birgt das Programm aber auch viele Gefahren – von der massiven Ressourcenverschwendung bis zur Beschneidung bürgerlicher Freiheiten.
    4.
    Vor dem Hintergrund der Weise, wie digitale Technologien in den Entwicklungsländern umgestaltend eingesetzt werden, erscheinen Nilekanis hochfliegende Pläne – und die damit verbundenen Sorgen – als vertrautes Muster. Für Millionen von Menschen könnten sich ganz neue Formen der Partizipation und Teilhabe ergeben, wohingegen die damit einhergehenden Gefahren der neuen Hebelwirkung entspringen, die eine kleine, korrupte, zynische oder gefährlich inkompetente Gruppe über die neuen Systeme ausüben könnte.
    Bei alledem gibt es bereits einiges zu feiern; und der Umfang und die Geschwindigkeit der Veränderung sind verblüffend. In Süd- und Mittelamerika etwa gehören auf Mobilfunkkonten basierende Bankgeschäfte mehr und mehr zum Alltag, ebenso wie die Möglichkeit zur Steuerzahlung und sogar politische Wahlen via Mobiltelefon. Landwirtschaft und Handel werden durch den mobilen Zugriff auf Preis- und Marktinformationen radikal verändert.
    Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Mobilfunkzugang in Bangladesch, einem Land, das bis 1999 über keinerlei moderne mobile Netzwerke verfügte, erreichte 2010 eine »virtuelle« Durchdringung von 100 Prozent, was bedeutete, dass praktisch kein Bangladeschi ohne Zugang zur mobilen Kommunikation war, und sei es über Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte. In Afrika gibt es derweil über 600 Millionen Mobilfunknutzer – mehr als in Amerika oder Europa.
    Die digitale Technologie verbindet Leistungsstärke mit Flexibilität und lässt sich selbst den
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