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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Autoren: Tom Chatfield
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solche Visionäre besitzen, das Internet ist, überrascht es nicht, dass jedes soziale und politische Problem als Online-Nagel dargestellt wird.« 5 Morozov weist damit auf etwas sehr Wichtiges hin: Wenn es eine Hoffnung gibt, dann liegt sie darin, Technologien nicht isoliert zu betrachten, sondern vielmehr als Teil der jeweiligen sozialen und kulturellen Kontexte, in denen sie angewandt werden.
    Was die direkten Auswirkungen der neuen Technologien auf die Politik selbst betrifft, müssen wir zunächst fragen, welche neuen Formen politischen Handelns digitale Netzwerke denn eigentlich gestatten – und welche älteren Formen entweder in neuem Maße vereinfacht oder zunehmend irrelevant werden.
    Hier gibt es drei Schlüsselfaktoren: die Möglichkeit des Einzelnen, zu dokumentieren, was um ihn herum geschieht und was er denkt; die Einfachheit, mit der solche Dokumente veröffentlicht und verbreitet werden können; und schließlich die ähnlich gelagerte Einfachheit, mit der sich massierte Formen der Aktivität kurzfristig organisieren lassen, welche dann wieder dokumentiert und kommuniziert werden können. Dies war im Wesentlichen das Handlungsmuster, das die Anfänge des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten definierte – ein Muster, das nicht so sehr von einem unzweifelhaften moralischen Ansehen geprägt war als von seiner Neuheit und Wirksamkeit in Regionen, die lange Zeit streng kontrolliert worden waren.
    Selbst wenn diese Technologien und Trends die Bürger gegenüber zentralen Machthabern in Vorteil setzen, ist es schwer zu sagen, welche »Online-Nägel« reines Wunschdenken darstellen und wo es sich am ehesten lohnt, Regierungsgelder und individuelle Anstrengungen zu investieren.
    Einer der bedeutendsten globalen Denker auf diesem Feld ist der amerikanische Wissenschaftler Tim Wu. Die normale Medienentwicklung sei stets eine Reise von einer neuen Offenheit hin zu einem Monopol, schreibt er in seinem 2010 erschienenen Buch The Master Switch . Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schürte die Geburt des Rundfunks in Amerika und andernorts Hoffnungen, dass diese neue Technologie eine Ära nie da gewesener demokratischer Partizipation einläuten würde. Was in den zwanziger und dreißiger Jahren aber tatsächlich geschah, war die Entwicklung des Rundfunks von einem »offenen Medium« zu einem »großen Geschäft, das von einem Radio-Trust beherrscht wurde«, also eine ökonomische Schließung von Möglichkeiten, durch welche die Freiheit der Meinungsäußerung stärker beschnitten wurde als durch alle Regierungsmaßnahmen.
    Im Falle des Internets hingegen, so Wu, geschehe etwas anderes als bei Druckmedien, Fernsehen oder Radio. Die einzigartige Struktur des Internets – dessen »Priorität stets nicht das System selbst, sondern der konkrete Nutzen für den Menschen war« – habe bewirkt, dass »ein dezentrales Netzwerk geschaffen und in dieser Form auch aufrechterhalten wurde«. 6 Dennoch seien »politische Einflussnahme und Kontrolle des Internets« keinesfalls unmöglich – sie seien nur wesentlich schwieriger als bei allen anderen Medien.

    Beobachtet der »Große Bruder« uns – und unseren Facebook-Account?
(CCTV © Gillian Blease / Getty Images)
    Autoritären Regimes stünden, wenn sie es geschickt anstellten, tatsächlich die Machtmittel zur Verfügung, um digitalen Protest oder die Möglichkeiten dazu großteils zu unterbinden. Ebenso können eine fehlgeleitete Gesetzgebung oder böswillige Unternehmenspraktiken viele der momentan geltenden Werte des offenen Internets aushebeln oder Konsumenten auf der Suche nach Sicherheit und Bequemlichkeit direkt in die Arme von Zensoren und Monopolisten treiben. Alles hängt davon ab, wie wachsam wir gegenüber solchen Möglichkeiten sind – das gilt insbesondere auch für unsere gewählten Politiker und diejenigen, die wir für das Privileg des Internetzugangs bezahlen.
    »Das Internet«, so Wu, »ist eben nicht das unendlich elastische Hirngespinst, für das man es gemeinhin hält, sondern vielmehr eine echtes, physisches Gebilde, das verzerrt oder zerstört werden kann. Das Netzwerk ist zwar so strukturiert, dass es jeden Nutzer mit jedem beliebigen anderen auf dem Planeten gleichberechtigt verbinden kann, doch basiert es seit jeher auf einer endlichen Anzahl physischer Kabel- oder Spektralverbindungen, betrieben von einer begrenzten Anzahl Firmen, von deren Wohlverhalten das Ganze abhängt.«
    Je eher wir uns das gesamte Ausmaß der Konsequenzen vor Augen
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