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Wie Kinder heute lernen

Titel: Wie Kinder heute lernen
Autoren: Martin Korte
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kann, galt früher gemeinhin als klassisch gebildet. Heute vermag keiner mehr so genau zu sagen, was Bildung beinhalten soll, ja man versucht
erst gar nicht, eine Antwort darauf zu finden. Daraus ergeben sich zum einen Verwechselungen - Bildung wird mit Wissen und Quiz-Shows gleichgesetzt - und zum anderen Irrungen, insofern als man meint, dass Information an sich bereits einen Wert hat und per Maus- oder Fingerklick zu Wissen wird, ohne dass man Bildung braucht.
    Wie also steht es aus neurobiologischer Sicht um die Begriffe »Wissen« und »Bildung«? Was beinhalten sie? Und wie sind diese Begriffe zueinander in Beziehung zu setzen? Eine Antwort liefern die Verschaltungseigenschaften von Nervenzellen im menschlichen Gehirn. Werden bestimmte assoziative Bedingungen erfüllt, z. B. indem zwei Ereignisse gleichzeitig auftreten, oder assoziieren wir einen Begriff mit einem anderen, so werden die Kontaktstellen, Synapsen genannt, zwischen den Nervenzellen verstärkt. Eine der wichtigen Eigenschaften dieser assoziativen neuronalen Netze besteht darin, immer neue Informationen in die bestehenden Netzwerke einzubauen, die damit bereits bei ihrer Abspeicherung »interpretiert« werden. Und darauf gründet sich die Macht des Wissens: Wer viel weiß, ist besser imstande, in vielfältiger Art und Weise neues mit altem Wissen zu verknüpfen; er kann nicht nur besser abspeichern und erinnern, sondern auch mehr Alternativen denken und damit differenzierter urteilen.
    Dies bedeutet natürlich noch lange nicht, dass eine Überflutung mit Wissensspielen automatisch Bildungsmillionäre aus unseren Kindern macht. Aber Allgemeinwissen zu haben ist wichtig; zu wissen, wo man etwas nachschlagen kann, reicht allein nicht aus, da das Gehirn dann vor der Schwierigkeit steht, wo und wie das neue Wissen einzuordnen ist.
    Abstraktes und neues Wissen intelligent in ein bestehendes Wissenssystem einordnen bzw. dieses Wissen effektiv abrufen zu können, das ist echte Bildung. Erst diese Fähigkeit erlaubt es uns, schnellstmöglich auf die Unzahl an gespeicherten Daten in diversen neuronalen Netzen zuzugreifen. Entsprechend kann
es bei der Wissensvermittlung nicht darum gehen, einfach nur Fakten zu lernen. Gefragt sind vielmehr Wissen über geschichtliche Zusammenhänge, das Wissen darum, woher unser Wissen kommt, naturwissenschaftliches, künstlerisches und mathematisches Verständnis sowie der Umgang mit Sprache. Diese Art der Wissensspeicherung ist jedoch immer hochgradig selektiv.
    Vor allem in Zeiten, in denen ganze Wissensberge in Sekundenschnelle zur Verfügung stehen, benötigt man Bildung zur Skalierung des Wissens, um Wesentliches von Unwesentlichem trennen zu können - sowohl bei der Verarbeitung von Sinnesinformation wie auch bei der Entscheidung darüber, welche Fakten vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis überführt werden sollen, brauchen Gehirne eine Orientierung. Eine Justierung unseres Wissens ist auch deshalb nötig, da ein Zuviel an willkürlichem Wissen zu einer Wissensnivellierung führen kann. Ein Überfluss an Wissen kann schnell Verunsicherung hervorrufen und damit eine gewisse Beliebigkeit. Eine Erkenntnis dessen, was das menschliche Gehirn ausmacht, besteht darin, das weniger oft mehr ist: Bei Aufgaben, die wir gut bewältigen und in denen wir sehr geübt sind, schaltet das Gehirn nicht ein Mehr an Gehirnarealen dazu, sondern es kann diese Aufgaben in höherer Geschwindigkeit und mit einer kleineren Anzahl von Gehirnarealen bewältigen.
    Zusammenfassend lässt sich also Folgendes festhalten: Bildung kann nur dort entstehen, wo man dem Wissen einen Wert gibt. Wir merken uns hauptsächlich das, was vom Gehirn in einem gegebenen Kontext als wichtig erachtet wird. Dieser Kontext wird im Wesentlichen von unserer Kultur bestimmt. Umso bedauernswerter ist es, dass es keine öffentliche Bildungsdebatte über Wissensziele gibt. Was Eltern aber nicht davon abhalten muss, sie mit ihren Kindern zu führen. Dabei müssen Mütter und Väter sich zunächst selbst über die wichtigen vermittelbaren Werte klar werden, denn nur so hat das kindliche Gehirn beim Wissenserwerb eine Orientierung. Vielleicht ist es keine schlechte, wenn auch
eine etwas schulmeisterliche Idee, dass Eltern eine Liste erstellen mit den Dingen, die ihre Kinder bis zum 15. Lebensjahr erlebt und erfahren haben sollten. Das Ziel bestünde weniger im sklavischen Abarbeiten dieser Liste, sondern in der Liste selbst, da sie Wertigkeit und damit den Beginn von Bildung in das
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