Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wie Kinder heute lernen

Titel: Wie Kinder heute lernen
Autoren: Martin Korte
Vom Netzwerk:
nötig.

Vererbung oder Training?
    Noch bis vor wenigen Jahren hat man sich eine herausragende Begabung als Geschenk des Himmels oder als übermenschliches Glück vorgestellt. Auch heute hört man beim Thema Hochbegabung als Erklärung gerne: »Die Muse küsst den Dichter« oder »Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe«. Aber kann man sich Hochbegabung möglicherweise auch antrainieren? Anders Ericsson, Forscher an der Florida State University, untersuchte hochklassige Schachspieler, Balletttänzer, Sportler und Musiker. Er fand bei diesen Untersuchungen heraus, dass die Besten in ihrem jeweiligen Gebiet auch zweimal so oft trainiert hatten wie Menschen mit durchschnittlicheren Fähigkeiten in denselben Spezialgebieten. Bestimmt also doch die Umwelt darüber, ob sich eine Hochbegabung entwickelt oder nicht?
    Alles in allem spricht die wissenschaftliche Evidenz eher dagegen. Zum einen macht ein Kind gerne das, was es gut kann, also trainiert es auch mehr, wenn die Erfolge sich leichter einstellen. Ein anderes gewichtiges Argument besteht darin, dass sich besondere Begabungen oft schon sehr früh zeigen. Beispiele sind hier
Kinder, die mit drei Jahren in zwei Wochen lesen lernen, oder Mozart, der bereits mit vier Jahren komponierte, was sich nicht allein mit dem ehrgeizigen Übungsprogramm seines Vaters erklären lässt. Auch zeigen Ergebnisse der Verhaltensgenetik, dass ein Teil der Hochbegabung vererbt wird. Darüber hinaus konnten einige Gehirnbesonderheiten festgestellt werden. So haben Musiker mit absolutem Gehör eine größere Asymmetrie zwischen dem stark ausgeprägten linken und kleinerem rechten Planum temporale, dem Hirnareal, welches die Sprachbereiche und den assoziativen Sprachkortex enthält. Hochbegabte zeigen als weitere Gehirnbesonderheiten eine effizientere Verarbeitung von Sinnesinformationen und einen geringeren Energieverbrauch des Gehirns insgesamt, welcher lokal in bestimmten Gehirngebieten durchaus überdurchschnittlich hoch sein kann. Dies führt zu einer effizienteren Energieverteilung. Es gibt auch Belege dafür, dass viele hochbegabte Menschen eine bessere Myelinisierung - eine isolierende Ummantelung - ihrer Nervenfasern aufweisen und damit eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit von Reizen haben.
    Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Studie einer amerikanischen Forschergruppe um John Duncan, die zeigen konnte, dass eine stärkere Aktivierung des Stirnlappens (speziell des seitlichen präfrontalen Kortex) mit dem generellen Intelligenzfaktor »g« korreliert (»g« ist ein statistisches Maß für die generelle Intelligenz eines Menschen). Es gibt also neben den Spezialbegabungen für bestimmte Fächer auch Faktoren in unserem Gehirn, die die Gesamtintelligenz über alle Bereiche des Denkens und Handelns beeinflussen. Dieser Faktor »g« könnte auch erklären, warum einige Menschen nicht nur eine Spezialbegabung auf einem Gebiet besitzen, sondern in vielen kognitiven Bereichen ein außerordentlich hohes Leistungsvermögen zeigen.
    Die aufgezählten Faktoren treffen jedoch nicht auf alle Hochbegabten zu. Hochbegabte Kinder zeigen eine starke Streuung bei IQ-Messungen (selbst wenn viele einen IQ von über 130 haben)
und auch bei allen anderen zur Verfügung stehenden Testverfahren - die ja ursprünglich oft nicht zur Messung von Hochbegabung entwickelt wurden. Vor allem bei Begabungen im künstlerischen, kinästhetischen (den Bewegungs- und Gleichgewichtssinn betreffend) und musischen Bereich besteht keine gute Korrelation mit IQ-Testergebnissen. So muss man hinnehmen, dass hochbegabte Kinder sich einer vollständigen Entschlüsselung beim Stand der heutigen Forschung entziehen. Ihre speziellen Fähigkeiten sind zu komplex und vielfältig, um mit einfachen Testmethoden ermittelbar zu sein. Darüber hinaus werden sie oft nur vor einem bestimmten kulturellen Hintergrund sichtbar.
    Man kann es vielleicht folgendermaßen am genauesten fassen: Die Hochbegabung ist angeboren. Sie kann nicht trainiert, aber durch die Umwelt in ihrer Entwicklung beeinflusst - entweder gefördert oder verhindert - werden. Vor allem wenn hochbegabte Kinder in einem Elternhaus aufwachsen, das kaum Anregungen oder Herausforderungen bietet, in dem es wenig Bücher gibt, wo man sich nicht mit Zahlen beschäftigt und Kleinkinder nicht mit Buchstaben in Kontakt kommen. Unter diesen Voraussetzungen erbringen selbst hochbegabte Kinder in der Schule nur durchschnittliche Leistungen.
    Hochbegabung ist eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher