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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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das Glück, den Mauerbau nicht mehr zu erleben. Diese Treffen mit ihrer Freundin in diesen beiden Städten, das war es, was sie am Leben erhielt. Das hat sie mir mehrmals gesagt.
    H ILDEBRANDT: Wie alt ist sie geworden?
    E NSIKAT: Nur einundsechzig Jahre. Für mich war ihr Tod ein gewaltiger Verlust. Ich sitze heute noch an ihrem Schreibtisch, ich habe ihre ganze Bibliothek geerbt. Das ist etwas ganz Berührendes, wenn du so ein Buch aufschlägst und findest ihre Notizen drin. Sie war Französisch-, Englisch- und Deutschlehrerin, eine hochgebildete Frau. Den Brandt übrigens hat sie verehrt, nicht mal so sehr wegen seiner Politik, sondern wegen seines Englisch. »Hör dir das Englisch von demMann an!«, hat sie gesagt. Den Carlo Schmid mochte sie, weil er so gut Französisch sprach. Sie war ja nicht die einzige Lehrerin, bei der ich denken gelernt habe. Mein Deutschlehrer sagte oft: »Ihr müsst nicht alles wissen. Ihr müsst nur wissen, wo ihr alles findet.« Der hat uns praktisch verboten, den »Faust« zu lesen: »Ich sag euch, was ihr in der Prüfung dazu wissen müsst. Aber verderbt euch den Genuss nicht. Lest den ›Faust‹, wenn ihr ihn vielleicht auch versteht.«
    H ILDEBRANDT: Das finde ich sehr, sehr weise. Du hast ja praktisch Lehrer gehabt, wie man sie aus dem Film »Der Club der toten Dichter« kennt.
    E NSIKAT: Ja, mit diesen Lehrern hatte ich wirklich Glück. Das waren ja auch noch Unikate. Mein Erdkundelehrer, der auch etwas militärisch angehauchten Sportunterricht gab, wollte immer »Käpt’n« genannt werden. Er fuhr Fahrrad und hatte auf dem Gepäckträger gewöhnlich einen großen Rucksack, und in dem Rucksack war ein Globus. Den holte er im Unterricht immer wieder raus, um anschaulich zu machen, dass die Erde eine Kugel ist.
    H ILDEBRANDT: Mein Sportlehrer hatte ein Holzbein. Ja, wirklich. Aus dem Ersten Weltkrieg. Wir bekamen noch die Lehrer, die eigentlich schon in Pension waren, weil die jungen Lehrer in den Krieg mussten. Daran kannst du sehen, dass du viel jünger bist als ich. Da kriegten wir die Verletzten aus dem Ersten Weltkrieg vorgesetzt, und die waren zum Teil wirklichschwerverletzt gewesen. Der mit dem Holzbein war noch der Agilste.
    E NSIKAT: Unser »Käpt’n« hat auch Sportunterricht gegeben. Der war schon ganz schön alt, für uns damals jedenfalls. Fünfzig vielleicht. Wenn der am Reck hing, das sah ziemlich jämmerlich aus. Er wollte uns damit aber nur beweisen, wie jämmerlich wir dranhingen und wie kraftvoll er noch war. Der ist dann nach dem Westen gegangen. Das war ja damals, in den fünfziger Jahren, ganz alltäglich. Bei manchen nannte man dieses »Rübergehen« auch nur »Wohnungsbeschaffungsmaßnahme«. Wenn man keine anständige Wohnung bekam oder nicht die Arbeitsstelle, die man wollte, ging man mal kurz rüber und gab dann vom Westen aus zu verstehen, dass man zurückkäme, wenn man die Wohnung oder die Arbeitsstelle bekäme. Bis zum Mauerbau war so ein Hin und Her gar nicht so selten. In Finsterwalde jedenfalls kannte ich ein paar Leute, die es so versucht hatten.
    H ILDEBRANDT: Im Ganzen war doch aber die Einwohnerzahl der DDR damals schon erheblich gesunken. Oder war das in Finsterwalde anders?
    E NSIKAT: Natürlich nicht. Aber dein nachsichtiges Lächeln hättest du dir ruhig sparen können.
    H ILDEBRANDT: Entschuldige, das ist mir jetzt so rausoder reingerutscht. Um auf die Lehrer zurückzukommen – ich hatte ja außer diesem Sportlehrer mit dem Holzbein auch noch einen Mathematiklehrer, der mirdie Mathematik vergrault hat, und einen Lateinlehrer, der mich überzeugte, dass Latein nichts für mich sei. Den Sportunterricht habe ich geschwänzt, weil mir der Lehrer nicht gefiel. In Mathematik war ich auf einem glatten Sechser gelandet. Zu der Zeit kam ein junger Lehrer, Dr. Pinkwart, an unsere Schule. Er war zweiunddreißig und gab dann bei uns zwei Fächer, nämlich Turnen und Mathematik. Eines Nachmittags kam der auf den Sportplatz, wo wir Fußball spielten, und sagte: »Jungs, das Elfmeterschießen macht ihr falsch.« Dann zog er sich die Schuhe aus, war barfuß und zeigte uns, wie man das richtig macht.
    E NSIKAT: Barfuß?
    H ILDEBRANDT: Ja, barfuß. Ein richtiger Fußballer kann auch barfuß spielen. Er zeigte uns, wie man sich den Ball zurechtlegt, wie man den Torwart täuscht, dass er in die rechte Ecke fliegt, den Ball aber in die linke Ecke schießt. Das machte uns so viel Spaß, dass sich auch unsere Mathematikergebnisse verbesserten. Ich kam in
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