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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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einem Jahr von einem Sechser auf einen Zweier. Ich fand Spaß am Sportunterricht, war ganz glücklich. Dann wurde der Lehrer eingezogen, und acht Tage später war er gefallen. Das gehörte zu meinen größten Eindrücken damals. Das meiste in der Schule war ja nicht so beeindruckend … Ach doch, da war noch was. Wir waren so fünfzehn oder sechzehn, da kamen wir kleinen Bunzlauer zu den Luftwaffenhelfern nach Berlin. Die holten also uns schlesischeJungs an die Geschütze in Berlin, um uns zu Luftwaffenhelfern auszubilden. Unseren Eltern wurde mitgeteilt: »Um die Bildung und Erziehung Ihrer Kinder müssen Sie sich keine Sorgen machen, die Lehrer kommen mit nach Berlin.«
    E NSIKAT: Die Lehrer aus Bunzlau?
    H ILDEBRANDT: Ja. Sie kämen zu uns in die Flakstellung, hieß es. Ein Vierteljahr passierte gar nichts. Wir hörten nichts von irgendwelchen Lehrern. Mein Vater hatte das gleich vorausgesagt, übrigens auch mit diesem überlegenen Lächeln – das hatte er damals schon drauf.
    E NSIKAT: Überlegenheit ist immer ein schönes Gefühl. Egal, worum es geht.
    H ILDEBRANDT: Aber eines Tages kam doch ein Lehrer. Ausgerechnet der von uns gar nicht geliebte Lateinlehrer. Er kam, um Unterricht zu machen. Wie wir jetzt so vor ihm standen, in Uniform und nicht mehr in Bunzlau, sondern in Hennigsdorf bei Berlin, kam uns das sehr komisch vor. Das war ja keine Schulklasse mehr, wir waren beim Militär. Der Feldwebel, ein alter Flak-Mann, der Feldwebel Wutze aus Köpenick, stand da neben dem Lehrer aus Bunzlau, und der fing an mit seinem Latein. Er kam sich selber wohl auch sehr komisch vor. Aber dann rettete ihn ein Fliegeralarm. Wir mussten raus an die Geschütze. Und er fragte uns ganz hilflos: »Was soll ich denn jetzt machen?« Da hab ich gesagt: »Herr Studienrat, mitkommen, kommen Sie einfach mit.« Und dann haben wir uns gerächt für die vielen Lateinstunden, indem wir ihm sagten: »Herr Studienrat, am sichersten sind Sie dort unten in diesem Kasten. Da kann Ihnen nichts passieren.« Und da lag er dann in dem Kasten für die Geschützrohre. Der war so trottelig, der hat sich da wirklich reingelegt. Wir hatten einen Riesenspaß. Dann fielen wirklich zwei Bomben, aber nur in einen nahe gelegenen Kanal, und es zischte zweimal kurz. Der Studienrat fragte uns Schüler: »Ist es vorbei?« Und dann machte er seinen Lateinunterricht weiter.
    E NSIKAT: Ich hatte auch Latein, aber nur zwei Jahre. Russisch dagegen acht. Unser Lateinlehrer war ein alter Studienrat, Studienrat Paul hieß er. Studienräte gab es in der DDR eigentlich gar nicht mehr. Aber wir redeten ihn immer so an. Er war ziemlich schwerhörig, und das nutzten wir gnadenlos aus. Er schwärmte übrigens von Bismarck und erklärte uns: »Ich weiß, Sie lernen hier etwas anderes über den Mann. Aber glauben Sie mir, das stimmt nicht.« Womit er ja nicht ganz unrecht hatte. Wenn einer von uns Schülern dem alten Herrn in den Mantel helfen wollte, sagte er: »Bitte erst nach dem ersten Herzinfarkt.« Als er den überstanden hatte, sollten wir bis zum zweiten Infarkt warten. Den hat er dann aber nicht mehr überstanden. Das war ein halbes Jahr vor unserem Abitur. Da merkten wir erst, was wir an ihm gehabt hatten. Jetzt übernahm unser Direktor den Lateinunterricht, und der konnte nicht viel mehr als wir.
    H ILDEBRANDT: Gab es denn in der ganzen Stadt keinen zweiten Lateinlehrer?
    E NSIKAT: Offenbar nicht. Aber mit Fremdsprachen hatten wir ja in der DDR sowieso nicht viel am Hut. Wir sind fast alle eher einsprachig aufgewachsen.
    H ILDEBRANDT: Mit dem Latein verhielt es sich wahrscheinlich wie mit dem Tennis. Es passte nicht zum Sozialismus.
    E NSIKAT: Auch wenn du es jetzt unterdrückt hast, ich fühle dich förmlich grinsen.
    H ILDEBRANDT: Das liegt daran, dass ich schon in der Schule immer der Klassenkasper war. Wenn wir den »Faust« mit verteilten Rollen gelesen haben, war ich das Gretchen. Darauf hat sich die Klasse immer gefreut. Dann kam ich in diese »Hitlerjugend«, das heißt, man war da ja praktisch als Pimpf schon drin und wurde mit dem vierzehnten Lebensjahr aus dem »Jungvolk« in die »Hitlerjugend« übernommen, kam zum marschierenden Personal. Das hat mir wenig gefallen, denn es war ziemlich stumpfsinnig. Wir sind in der Stadt herummarschiert und haben irgendwelche Lieder gebrüllt. Das waren Kulturerlebnisse wie die Fangesänge bei Fußballspielen heute. So haben wir die Stadt vollgegrölt. Das fand ich immer langweiliger, und ich habe mich immer öfter
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