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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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geklappt hätte, wäre ich vielleicht nach München gegangen. Und wo sitze ich heute? In München.« Von wegen vertrieben! Stell dir mal vor, ich müsste jetzt wieder nach Bunzlau zurück! Natürlich prägt einen die Herkunft. Die Tatsache, dass ich Schlesier bin, trage ich mein Leben lang mit mir herum. Und nutze sie auch schön aus.
    E NSIKAT: Dass ich Brandenburger bin, finde ich auch in Ordnung, mit Finsterwalde bin ich inzwischen einverstanden. Damals wollte ich eigentlich immer nur woanders sein. Woanders vermutete ich das richtige Leben. Ich erinnere mich, dass ich mit acht oder neun zum ersten Mal mit der Eisenbahn fuhr. Zehn Kilometer von Finsterwalde nach Doberlug-Kirchhain. Ich war unterernährt und sollte dort in einem Heim etwas aufgepäppelt werden. Mit der Eisenbahn fahren, dachte ich, das ist der Aufbruch in die große Welt. Dann komme ich da in Doberlug-Kirchhain an, und da ist alles noch kleiner als in Finsterwalde.
    H ILDEBRANDT: Und wann bist du dann wirklich rausgekommen?
    E NSIKAT: Als ich nach Leipzig kam, an die Theaterhochschule. Da konnte man jeden Tag ins Theater gehen, zu jeder Zeit ins Kino. Aber Theater hatte ich in Finsterwalde auch gesehen. Mit meiner Mutter war ichschon als Zehnjähriger im Theater. Meine gesetzestreue Mutter hat den Feuerwehrmann, der mich Minderjährigen nicht reinlassen wollte, belogen: Ich sei schon zwölf. Dabei war ich zehn und sah aus wie sieben. Gespielt wurde »Der Vetter aus Dingsda«. Auf dem Heimweg hab ich dann mit meiner Mutter gesungen »Ich bin nur ein armer Wandergesell, gute Nacht, liebes Mädel, gut’ Nacht.« Das Senftenberger Theater hatte es mir besonders angetan. Die machten dort für die Zeit ganz modernes, zeitkritisches Theater. Ganz anderes als den »Vetter aus Dingsda«. Eher Sternheim und Brecht. Diese Gastspiele in Finsterwalde fanden im »Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft« statt, direkt neben der Eisenbahnunterführung.
    H ILDEBRANDT: Da im Theater warst du doch der Welt schon näher.
    E NSIKAT: Und in den Büchern. Kästner hab ich schon als Kind verschlungen. Jetzt kam Brecht dazu, Arnold Zweig, Anna Seghers. Das waren übrigens für mich Argumente, die für die DDR sprachen. Wenn diese Leute in den Osten gekommen waren, musste das doch Gründe haben.
    H ILDEBRANDT: Solche Gedanken hätten uns schon damals zusammengeführt. Diese Autoren habe ich doch auch alle gelesen, das war für mich Vergangenheitsbewältigung. Da waren wir doch eigentlich schon richtig zusammen.
    E NSIKAT: Natürlich. Wenn die Mauer zwanzig Jahre früher gefallen wäre, hätten wir viele Probleme, die wir jetzt noch mit uns rumschleppen, überhaupt nicht.
    H ILDEBRANDT: Weißt du, dass meine väterlichen Verwandten alle aus Brandenburg stammen, dass meine Mutter im sächsischen Grimma geboren wurde? Kannst du jetzt, in Kenntnis meiner Herkunft, verstehen, dass ich euer herablassendes Ossi-Lächeln nicht verdient habe?
    E NSIKAT: Ich werde meine Gesichtszüge im Zaum zu halten versuchen. Du bist ja wirklich ein Mischling.
    H ILDEBRANDT: Ersten Grades, durch und durch sozusagen. Meine Großmutter kam aus der Tschechoslowakei.
    E NSIKAT: Kein Ossi hat das Recht, dich weiter auszulächeln. Um noch mal auf Finsterwalde zurückzukommen. Ich hatte dort in der Nachkriegszeit richtig gute Lehrer. Das war der Vorteil der Kleinstadt. Diese Lehrer, fast alle verkappte Sozialdemokraten, hatten die Nazizeit dort überstanden. Einige hatten damals Arbeitsplatzbindung, durften also nicht weg. Meine Klassenlehrerin an der Oberschule wurde so etwas wie meine zweite Mutter. Von der habe ich denken gelernt.
    H ILDEBRANDT: Du bist privilegiert. Ich hatte keinen zum Denkenlernen. Du bist aber auch ein anderer Jahrgang.
    E NSIKAT: Ja, 1941. Aber wäre ich dieser Frau nicht begegnet, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. Sie war übrigens sehr unbeliebt in Finsterwalde. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie wollte immer weg von dort, war 1932 als Referendarin in die Kleinstadt gekommen und träumte davon, nach der Referendarzeit entweder nach Dresden oder München zu gehen. Sie war ja auch Kleinstädterin, kam aus Frankfurt/ Oder, und nun war sie wegen der Nazis in Finsterwalde klebengeblieben. In den fünfziger Jahren traf sie sich dann mit ihrer jüdischen Freundin, der es rechtzeitig gelungen war, in die USA zu emigrieren, regelmäßig einmal im Jahr entweder in Dresden oder in München. Das ging ja bis zum Mauerbau. Sie hatte – das muss man wirklich so sagen –
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